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Linthal – Richetlipass – Elm

Profil Linthal – Elm

Welcher Trailrunner wünscht sich nicht, einmal von Andrea Huser persönlich geweckt zu werden? – Ich nicht mehr! Sie hat das zwar gut gemacht, aber nach gut zwei Stunden komatösem, traumlosem Schlaf, fühlt es sich trotzdem nicht so toll an. Als nächstes spüre ich meine Füsse, ebenfalls nicht toll. Dann merke ich, dass mein leichtes Unterhemd, welches ich für den heutigen Tag bereits vor dem Schlafen angezogen hatte, total durchgeschwitzt ist. Das Bett ist ebenfalls total nassgeschwitzt und ich beginne augenblicklich zu frieren. Und ja, mein Vater hatte recht: Der Dreck geht zumindest teilweise im Bett tatsächlich von der Haut. Ich bin froh, dass ich hier nicht selber aufräumen muss.

Beduselt wühle ich mich durch meine Tasche und suche im feuchten stinkigen Kleiderhaufen etwas sinnvolles für den heutigen Tag. Kurze Hosen, X-Bionic-Unterhemd und als Tageshit finde ich ein noch ungetragenes Sardona-Finisher-Shirt. Meine Zehensocken muss ich auch noch wechseln, da ich über den Klausenpass zwei Zehen durchgescheuert habe.

Nach dem Anziehen folgen Kaffee, Brot und Briefing:

  • Wo sehen wir die Betreuer wieder? – Elm
  • Wie weit ist es bis dort? – ca. 24km
  • Wie lange benötigen wir? – 6 bis 7 Stunden (Ankunft ca. 14:00 Uhr bis 15:00 Uhr)
  • Passübergang? – Richetlipass 2261 müM, Aufstieg gut 1600Hm

Rucksack fertig packen bzw. heute eher auspacken, da ich für die Tagesetappe bei schönem Wetter nur das Minimum mitnehme. Andrea bringt mir die vollen Wasserflaschen. Dann noch auf die Toilette. Schuhe anziehen und wie fast schon gewohnt ein paar Minuten warten, bis die Girls fertig geschminkt sind. 🙂

Herzlichen Dank an Andrea und Karin für die super Betreuung!

Um 8:15 Uhr machen wir uns auf den Weg. Wieder kündigt sich ein toller Spätsommertag an. In Linthal ist mein Freund Stefan aufgewachsen und ich sende ihm ein Bild und frage ob er die Gegend kennt. Oli Stupp ist auch schon wach und fragt ob ich tatsächlich noch dabei sei. So schreibe ich ein wenig hin und her, während die Strecke in Richtung Durnachtal zu steigen beginnt.

Blick zurück Richtung Klausenpass

Der Schlaf hat uns allen gut getan. Die Stimmung ist sehr entspannt. Irgendwie ist uns bewusst, dass sich das gemeinsame Abenteuer dem Ende entgegen bewegt und wir wollen diese letzten gemeinsamen Kilometer nochmals geniessen. Für mich ist diese Gegend ein weisser Fleck auf der Landkarte und ich freue mich deshalb, etwas Neuland zu entdecken. Zudem freue ich mich auf Elm. Ich war erst zweimal dort. Beide Male mit der Klasse der Holzbau-Technikerschule. Einmal zu einer Besichtigung von „Elmer Citro“, das andere Mal an der Hochzeit von Franz und Nadia. Ich überlege mir, Franz zu kontaktieren, welcher mir sicher eine Duschmöglichkeit in Elm verschaffen könnte. – Zuerst mal über den Pass und nachher sehen wir weiter.

Aufstieg ins Durnachtal

Wir „wärmen“ die Geschichten wieder auf, welche wir seit Freitag zusammen erlebt haben. Und können immer wieder darüber lachen. Brigitte verspricht mir den Auftrag für die Dachsanierung an ihrem Haus. Super, wie einfach man bei solchen Aktivitäten zu Aufträgen kommt. Nur 130km Marsch für eine Dachsanierung. Geht ja einfacher als auf dem Golfplatz. 🙂

Im Durnachtal treffen wir einen netten Älpler an, welcher ein paar hundert Meter mit uns marschiert. Er macht einen sehr glücklichen und zufriedenen Eindruck und erzählt uns ein wenig vom Sommer hier oben.

Durnachtal

Dann wird es wieder steiler und wir sind froh, dass wir diese Strecke im Schatten absolvieren können. Landschaftlich ist es wieder grosses Kino. Sehr ruhig und unberührt. Zwei englisch sprechende Jungs kommen uns entgegen. Sie haben oben hier oben die Nacht verbracht und sind nun am Abstieg. Weiter oben kreuzen wir dann eine kleine Gruppe Wanderer. Sie meinen, so wie wir aussähen würden wir wohl eher rennen als wandern. Ich erkläre ihnen kurz, dass Brigitte und Anja mal eben aus Montreux hier hin gerannt wären. Erstaunte Gesichter!

Aufstieg zum Richetlipass

Anja und Brigitte haben nun schon über 300 Kilometer absolviert und ich staune selber, dass sie immer noch ohne Pause ihr Aufstiegstempo halten können. Ich frage mal scheu nach dem Trainingsaufwand, welchen sie so betreiben. Anja macht 60 bis 80 Laufkilometer in der Woche. Brigitte 3’000 bis 5’000 Höhenmeter. – Ich habe wohl dieses Jahr so 15 Kilometer und 700 Höhenmeter pro Woche gemacht. Hätten wir das vorgängig angeben müssen, wäre ich wohl durch die Selektion gerasselt. Einmal mehr bin ich dankbar, dass ich dabei sein darf!

Ich bin mir auch bewusst, dass ich so nicht weitermachen kann, wenn ich weiterhin solche Abenteuer angehen will. Die Ladies inspirieren mich, zukünftig wieder mehr zu trainieren. Ich will aber nicht mehr einseitig Höhenmeter für einen UTMB oder so bolzen. Gesund, fit und beweglich muss das Ziel sein.

Bis auf die letzten paar Meter können wir zum Glück alles im Schatten marschieren

Kurz nach 11:00 Uhr erreichen wir den Richetlipass auf 2’223m. Kurze Rast mit Schulreise-Verpflegung. Anja teilt mit uns ihre BCAA-Kapseln (Aminosäuren). Von Brigitte habe ich inzwischen einen ganzen Sack Gummibärchen geerbt, welche sie nicht mehr sehen kann. Der Wegweiser zeigt 4 Stunden bis Elm. Diese Wegweiserzeiten zu halbieren schaffen wir nicht mehr. Aber so in 2.5 bis 3 Stunden sollten wir dort sein. Das wäre dann ungefähr 14:00 Uhr und es würde tatsächlich noch genügend Zeit für Brigitte bleiben, damit sie über den Foopass kommt.

Richetlipass 2261m

Die Rast dauert wiederum nicht lange. Wir haben keine Zeit zu verlieren und alle sind soweit fit und leistungsfähig. Ich freue mich, dass ich noch überhaupt keine muskulären Probleme, Blasen und sonstige Gebrechen haben. Nur die rissigen Füsse sind nervig. Dafür danke ich innerlich wieder mal Chregu Härdi, für die sensationellen Einlagen, welche er mir geschustert hat. Sohlenbrennen ist seither kein Thema mehr!

Unser weiterer Weg vom Richetlipass

Es geht runter auf die Wichlenmatt, dann kurz hoch zum Erbser Stock und dann wieder runter nach Obererbs. Für mich heisst es nur noch geniessen. In Elm ist das Abenteuer vorbei für mich und ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich das erleben durfte. Eine UTMB Finisher-Weste haben ein paar tausend Leute auf der Welt. Eine von Andrea Huser signierte UTMB-Finisher-Weste wahrscheinlich nur ein paar wenige Leute (Ich hab jetzt eine!). Aber Teil dieses Via Alpina-Projekts zu sein, ist einfach einzigartig und unbezahlbar. Ich kann mein Glück fast nicht fassen und bin wahnsinnig dankbar dies erleben zu dürfen.

Anja und Brigitte: Ein Herz und eine Seele nach 310 gemeinsamen Kilometern

Zum Dank würde ich Brigitte und Anja gerne noch zu einem Getränk einladen, sofern eine Rast in den Zeitplan von Brigitte passt. Sie möchte aber lieber bis Elm durchziehen, da sie noch einen langen Tag vor sich hat. Ich verstehe das vollkommen.

Als wir dann bei der Skihütte Obererbs ankommen, will Anja kurz auf die Toilette und wir machen doch eine Pause. Drei Tütchen Paprika-Chips, zwei Flaschen alkoholfreies Bier und ein halber Liter Eistee verschwinden im Nu.

Kurze Rast bei der Skihütte Obererbs

Kurz nach der Skihütte weichen wir wieder mal von der original Via Alpina-Route ab. Obwohl diese für mich attraktive Aspekte gehabt hätte, ziehen wir die direktere Route nach Elm vor um etwas Zeit und Kraft zu sparen. Ich kontrolliere den Weg per SchweizMobil-App und bin verantwortlich, dass wir den Treffpunkt erreichen, welchen mir Karin per WhatsApp-Skizze durchgegeben hat.

Anja ist etwas in der Zwickmühle. Ihr Mann ist mit den Söhnen in der Bodensee-Region und bereit sie abzuholen. Morgen ist Schulanfang und sie will es ihrer Familie nicht zumuten, zu spät nach Hause zu kommen. Sinnvollerweise würde sie hier in Elm (nach rund 317km) aussteigen und mit ihrer Familie nach Hause fahren. Das würde allerdings heissen, dass Brigitte den letzten Pass alleine in Angriff nehmen müsste.

Brigitte bringt die Möglichkeit ins Gespräch, dass Andrea sie über den Foopass begleiten könnte. Anja findet das eine gute Möglichkeit und kommuniziert ihrem Mann, dass sie hier den Lauf beendet und dann mit Karin nach Sargans fährt, wo er sie abholen kann.

Ich bin mir nicht sicher, ob es für Andrea möglich und vor allem sinnvoll ist, mit ihrer Verletzung über den Pass zu gehen. – Die Strecke bis Elm nutze ich, um meine Optionen durchzugehen. Am liebsten würde ich noch ein wenig die Gesellschaft von Trail-Star Andrea geniessen und mit ihr nach Sargans fahren. – Wichtiger ist mir aber, dass Brigitte nicht alleine über den Pass muss. Körperlich sehe ich keine Probleme, welche mich hindern würden. Familiär ist es immer besser, früher zu Hause zu sein. Geschäftlich wäre es auch sinnvoll, nicht mehr allzulange unterwegs zu sein. Das Projekt ist aber einzigartig und endlich bin ich wieder mal bei einem Lauf bereit, „all-in“ zu gehen und so lange zu machen, bis es für mich beendet ist. Mit dem Foopass käme ich zudem wahrscheinlich auf eine 100 Meilen-Distanz (161km) was auch besser tönt, als nicht ganz 150km.

Brigitte zieht vorne weg Richtung Elm. Bei Anja ist die Spannung etwas draussen und sie hängt etwas zurück. Ein ungewohntes Bild, da wir nun fast 150km sehr kompakt zusammengelaufen sind. Zusätzlich zu Karin und Andrea, erwarten uns eine Kollegin von Brigitte mit ihren beiden Kindern. Ein schöner Einlauf im malerischen Elm.

Einlauf in Elm

Immer noch in der Meinung am Ende meines Laufes zu sein, stoppe ich ziemlich genau um 14:00 Uhr meine Uhr nach 147km. Wir ziehen drei alkoholfreie Bier aus dem Brunnen und stossen wieder mal auf eine Etappe an.

Ich suche das Gespräch mit Andrea und Karin wegen dem weiteren Vorgehen. Andrea kann Brigitte nicht begleiten. Eine Kollegin von ihr würde allenfalls aus Zürich anreisen, diese ist aber noch nicht unterwegs und das würde dauern. Ich biete an, Brigitte über den Foopass zu begleiten. Bedingung ist, dass ich nachher beim ersten Platz, welcher mit dem Auto erreichbar ist aufgeladen und nach Sargans gebracht werde. Ich glaube es ist die einfachste und schnellste Lösung für uns alle.

Das verdiente, brunnenkalte, alkoholfreie Etappenbier

Anja wird mit der Medaille „Salzbretzel am schwarzen Band“ nach 317 Kilometern Strecke herzlich verabschiedet. – Ich hau mich in den Schatten, crème nochmals die Füsse ein, lasse mir die Flaschen füllen und dränge dann auf einen raschen Aufbruch.

Abschied von Anja

Link zur nächsten Etappe Elm – Weisstannental

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