Eiger Ultra Trail 2016 – Der Plan geht diesmal auf

Vor dem Rennen

Der Eiger Ultra Trail E101 (EUT) dient mir dieses Jahr vor allem als Vorbereitung auf den Ultra Trail Mont Blanc (UTMB). Sechs Wochen vor dem UTMB ist es ein super Test im alpinen Gelände für Mensch und Material. Zudem konnte ich letztes Jahr mein persönliches Ziel, den EUT einmal unter 20h zu finishen, nicht erfüllen, da die Strecke infolge Gewitter verkürzt wurde. Also habe ich da noch eine kleine Rechnung offen.

Ich reise am Freitag Nachmittag gemeinsam mit Oliver Stupp ab Olten mit dem Zug an. Wir haben uns letztes Jahr in Grindelwald kennen gelernt und werden uns ein Zimmer in der Jugendherberge teilen. Die Wetteraussichten für den Samstag sind ideal, allerdings hat es in den Tagen zuvor oberhalb 2’000 müM geschneit und deshalb geben uns die Streckenverhältnisse etwas zu denken. Dies wird dann nochmals verstärkt, als wir auf Facebook Bilder sehen, wie ein Trupp mit Schneeschuhen den Trail Richtung Faulhorn spurt. Was wird uns morgen dort oben erwarten?

Nach 16:00 Uhr treffen wir in Grindelwald ein und fahren mit dem Bus hoch zur Jugendherberge. Wir haben ein super Zimmer mit Blick auf den Eiger. Wir schultern die Laufrucksäcke und marschieren runter zum Startgelände für die Kontrolle der Pflichtausrüstung und die Startnummernausgabe. Dann Pasta Party und um 18:00 Uhr das offizielle Briefing auf dem Eigerplatz. Gemäss OK ist ab Bachalpsee übers Faulhorn bis gegen die Schynige Platte mit Schnee zu rechnen. Ich bin gespannt, wie viel Zeit verloren gehen wird und ob ich die 20 Stunden unterschreiten kann. Wichtig ist für mich aber vor allem, dass keine Gewittergefahr besteht.

Zwei die es wissen müssen: Ueli Steck (links) und E101-Streckenchef Marcel Marti (rechts)

Zwei die es wissen müssen: Ueli Steck (links) und E101-Streckenchef Marcel Marti (rechts) beim Briefing

Nach dem Briefing marschieren wir wieder hoch zur Jugendherberge. Meine Achilles-Sehne rechts zwickt etwas. Hatte ich bis jetzt noch nicht und ich mache mir nicht viele Gedanken deswegen. Dropbag für Burglauenen packen, Laufrucksack fertig packen und die Bekleidung bereit legen. Oli will in kurzen Hosen und Kurzarm-Shirt laufen. Ich bin der Meinung 3/4-Hosen und Langarmshirt ist sinnvoller. Zum Glück müssen wir uns nicht auf ein Tenü einigen.

Das Wetter hat inzwischen aufgeklart und wir haben vor dem einschlafen einen tollen Blick auf den Eiger. Um 21:00 Uhr machen wir Nachtruhe. Ich kann nicht einschlafen, was nicht aussergewöhnlich ist. Ich bemerke dann aber, dass meine Gedanken sich um ein paar Sachen im Geschäft drehen und nicht um den Lauf morgen. Ich versuche dies bewusst so zu lassen. Wenn ich mich jetzt auf den Lauf konzentriere, werde ich nur nervös und kann noch schlechter schlafen.

 

Start – Grosse Scheidegg / Der Tag bricht an

Um 3:15 Uhr geht der Wecker. Mein erster Blick geht auf die Wetter-App. Die Temperatur in Grindelwald wird mit -1°C angegeben. Ja, ja, Oli mit seinen kurzen Hosen. Ich sehe mich bereits mit der Jacke starten, entscheide mich dann aber, oben einfach noch ein Kurzarm-Shirt über das Langarm zu ziehen. Kurz vor 4:00 Uhr machen wir uns auf den Weg runter zum Start. Die Temperatur ist dann doch nicht so unangenehm wie erwartet und ich ziehe mein zusätzliches Kurzarm-Shirt wieder aus. Wir geben die Dropbags für Burglauenen ab und stellen uns ins Starterfeld. Als Überraschung haben sich die Organisatoren eine Startampel in der Eigernordwand einfallen lassen. Bringt zwar nicht viel, ich fand es aber trotzdem eine witzige Idee. Ich bin so ruhig wie noch nie vor einem solchen Rennen. Ich mache mir keine Sorgen und gebe mich einfach der Situation hin. Oli und ich wünschen einander noch viel Glück. Dann die GPS-Uhren bereit machen und Punkt 4:30 Uhr geht es los.

Eiger_Ultra_Trail_Hohenprofil

Höhenprofil Eiger Ultra Trail E101

Im Laufschritt geht es raus aus Grindelwald. Die Stöcke habe ich noch zusammengefaltet, damit ich im Gedränge niemanden verletze. Ich konzentriere mich auf mich und meinen Rhythmus. So sind wir schnell beim Brücken-Engnis nach ungefähr 2.5km, wo sich ein kurzer Stau bildet. Hier falte ich meine Stöcke auseinander, denn ab da beginnt der Aufstieg richtig. Auf den Single-Trails ist Kolonnenverkehr, wenn der Weg breiter wird, gibt es einzelne Überholmanöver. Ansonsten geht jeder ruhig seinen Schritt in den anbrechenden Tag. Ich schaue ab und zu auf die Pulsuhr, verlasse mich aber vor allem auf mein Gefühl. Es gilt keine Fehltritte zu machen und nicht unnötig Energie zu verschwenden. Ein sensationell schöner Tag zeichnet sich ab, das spürt man jetzt schon. Ich freue mich auf die ersten Sonnenstrahlen oben auf der Grossen Scheidegg. Das ist immer der erste Höhepunkt im Rennen.

Im Hintergrund der Eiger Gipfel in den ersten Sonnenstrahlen

Im Hintergrund der Eiger Gipfel in den ersten Sonnenstrahlen

 

Im Aufstieg verdrücke ich die ersten beiden Energie-Gels. Ich habe mir vorgenommen, mich heute sehr diszipliniert zu ernähren, damit ich keine Energietiefs bekommen. Die Temperatur ist sehr angenehm. Zwischendurch kommen kalte Fallwinde runter und ich mache die Ärmel nach vorne. Dann ist es wieder wärmer und ich kremple sie wieder nach hinten. Puls ist im grünen Bereich. Ich konzentriere mich auf mein Rennen und gehe meine Pace. Ich kann nicht einschätzen, wie schnell ich unterwegs bin. Schlussendlich bin ich rund 6 Minuten eher oben als letzes Jahr. Ich werfe den Abfall weg und packe ein Stück Banane. Dann geht es direkt weiter.

Kurz vor der Grossen Scheidegg

Kurz vor der Grossen Scheidegg

Strecke Etappe:       7.7 km
StreckeTotal:           7.7 km
Hm Etappe:             +1‘100 m / -150 m
Hm Total:                 +1‘100 m / -150 m
Zeit Etappe :             1:42 h  (-0:06 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 1:42 h (-0:06 gegenüber 2015)

Grosse Scheidegg – First – Bort – First / Höhepunkt First Cliff Walk

Es geht in die Sonne und rüber zur First gibt es einige gut laufbare Strecken. Ich versuche locker und entspannt zu laufen und ein gutes Gefühl zu behalten. Es bringt noch nicht, hier zu forcieren. Zwischendurch wieder kalte Fallwinde von den Schneefeldern, welche oberhalb liegen. Ich bin mit meiner Kleiderwahl sehr zufrieden bis jetzt. Rüber zur First ist kein grosses Thema. Dann kommt aber die Bort-Schlaufe. Dieser Downhill ist definitiv nicht mein Lieblingsstück.

Der Schnee der letzten Tage ist am vergehen und deshalb die Strecke häufig nass. Ich freue mich an meinem Hoka Rapa Nui. Die Vibram-Sohle ist super und ich habe sehr viel Vertrauen in sie. Egal ob nasse Felsen oder Holztritte, die Sohle hält einfach und das ist hier sehr wertvoll. – Mir fällt in diesem Downhill auf, dass sich mein „Mindset“ geändert hat. Durch den Irontrail T201-Finish habe ich eine ganz andere Perspektive auf die 100km bekommen. Letztes Jahr hatte ich hier Angst, meine Muskeln zu stark zu beanspruchen. Jetzt sehe ich das viel lockerer und lasse es einfach mal laufen. Ich habe mehr Vertrauen in meinen Körper und meinen Durchhaltewillen.

Mit den ersten Sonnenstrahlen rüber zur First

Mit den ersten Sonnenstrahlen rüber zur First

In Bort dann Wasser auffüllen und kurz auf die Toilette. Ich bitte eine Sanitätsfrau, mir ein paar Gels aus der hinteren Tasche des Rucksacks zu geben. Die vorderen habe ich schon alle weg. So konsequent ernährt habe ich mich noch nie. Die Energie kann ich im folgenden Aufstieg wieder hoch zur First gebrauchen. Mir fallen zwei Pärchen auf, welche jeweils gemeinsam laufen. Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Ich habe jeweils mit mir schon genügend zu kämpfen. Mir hilft sicher, dass ich die Strecke nun schon kenne und deshalb in etwa weiss, wo ich forcieren kann und wo ich eher defensiv laufen sollte. Ich wende wieder mal die bewährte Taktik an und hänge mich an einen älteren Asiaten, welchem ich gut folgen mag. Ich konzentriere mich nur auf seine Schritte und lasse mich den Berg „hochziehen“. Das spart Energie.

Bei der First führt die Strecke neu über den First Cliff Walk. Das ist eine Stahlkonstruktion luftig an die Felsen gebaut. Ich finde das noch eine lustige Sache, merke aber bald, dass dies nicht für alle Läufer ist. Einer kommt mir nach ein paar Metern wieder zitternd entgegen und sucht sich einen Weg ohne Gitterrost zur Verpflegungsstation. Ein anderer klammert sich verzweifelt ans Geländer und tastet sich Schritt für Schritt vorwärts. Ich denke an die Stellen runter nach Burglaunen und auf der anderen Seite wieder hoch. Dort läuft man teilweise auch so am Abgrund, allerdings hat es dort kein Geländer. Jeder findet hier irgendwo seine Grenzen!

First Cliff Walk

First Cliff Walk

Der Verpflegungsposten ist neu direkt auf der Terrasse beim Restaurant. Hier gibt es zum ersten Mal Bouillon und ich nutze das gleich. Im Magen grummelt es etwas und ich nutze sicherheitshalber die Toilette. Immer wieder ein Erlebnis: Du kommst dreckig, verschwitzt und erschöpft auf so eine super neue edle Toilette und hast das Gefühl du bist im Himmel. – Dann Rucksack und Stöcke wieder packen und über die Datasport-Zeitmessmatte. Ich bin fast auf die Minute gleich schnell unterwegs wie letztes Jahr.

Strecke Etappe:       15.0 km
Strecke Total:          22.7 km
Hm Etappe:              +950 m / -750 m
Hm Total:                 +2‘050 m / -900 m
Zeit Etappe :             2:24 h (+0:03 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 4:06 (-0:03 gegenüber 2015)

First – Faulhorn / Im Schnee

Es ist sensationelles Bergwetter und bis zum Bachalpsee geht die Strecke auf dem gut ausgebauten Wanderweg und man kann auch die Aussicht etwas geniessen. Die Spannung steigt aber, da ab Bachalpsee der Schnee angekündigt wurde. Ich bin unsicher was uns erwartet. Bis jetzt war die Strecke trotz teilweiser Nässe sehr gut laufbar. Da das Gelände recht felsig ist, gibt es keine Schlammschlacht, wie das beim Trail d’Absinthe der Fall war. Wie es mit dem Schnee aussieht kann ich aber nicht abschätzen.

Tatsächlich kommen wir dann auf einer Höhe von ungefähr 2’300 müM in den Schnee. In den Aufstiegen muss man beachten, wo die Trittstufen im Schnee sind, dann ist es kein Problem. Ich habe nicht das Gefühl, viel Zeit zu verlieren. Ich denke für die schnelleren E51-Läufer, welche hier auch gleichzeitig auf der Strecke sind, ist es mit dem Schnee schwieriger zu überholen. Das kann mir aber egal sein. Ich konzentriere mich auf mich und meine Schritte. Es geht dann wieder runter zur nächsten Verpflegungsstation bei der „Oberläger Bussalp“ wo kein Schnee liegt. Abfall weg, Bouillon trinken, Wasser füllen, ein Stück Brot und wieder weiter.

Die erste Schnee-Passage

Die erste Schnee-Passage

Nun der Aufstieg zum Faulhorn auf 2’680 müM. Jetzt geht es definitiv in den Schnee. Letztes Jahr war ich hier mit einer Gruppe um Bernie Manhard unterwegs, welche geschwatzt und Stimmung gemacht hat. Heute ist zwar auch ziemlich viel Betrieb auf der Strecke, aber jeder ist mit sich selber beschäftigt und es ist eine eher meditative Sache. Ich habe immer noch nicht das Gefühl, durch den Schnee viel Zeit zu verlieren. Dafür verstärkt sich mein Gefühl, dass ich den besten Schuh (Hoka Rapa Nui) bzw. die beste Sohle (Vibram) habe. Ich rutsche nicht und die Tritte bleiben immer sicher. Zwischendurch kommen so Stimmungen aus dem Militär (Märsche im verschneiten Bière) oder Skiferien (Schnee und Sonne) auf. Puls ist in Ordnung. Energiehaushalt auch, ich schiebe mir immer noch regelmässig die Gels rein. Wetter traumhaft. Das Faulhorn kommt immer näher.

Heute ist nur wenig Wind hier oben und deshalb auch nicht so die Gefahr des Auskühlens, wie letztes Jahr. Die Verpflegungsstation ist entsprechend der Platzverhältnisse hier eher klein und ich es bildet sich ein kleiner Stau. Ich finde die aktuellen Teilnehmerbeschränkungen sind richtig. Mehr können die Trails hier nicht aufnehmen. Ich komme gut durch die Station und bin erfreulicherweise immer noch fast auf die Minute wie letztes Jahr unterwegs.

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Kleiner Stau bei der Verpflegung auf dem Faulhorn

Strecke Etappe:       10.4 km
Strecke Total:           33.1 km
Hm Etappe:              +1000 m / -500 m
Hm Total:                 +3‘050 m / -1‘400 m
Zeit Etappe :             2:27h (+0:06 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 6:33h (+0:03 gegenüber 2015)

Faulhorn – Schynige Platte / Weiter im Schnee

Die ersten rund 150 Höhenmeter Abstieg nach dem Faulhorn sind dann ziemlich tricky. Es ist steil, hat viele grosse Steine und heute auch noch massig Schnee. Das Motto heisst also: „Sicher runter kommen!“ Dies gelingt mir zum Glück und im flacheren Gelände geht es dann wieder flotter vorwärts. Es herrscht sensationelle Fernsicht und der Himmel ist wolkenlos. Ein absoluter Berg-Traumtag. Die Konzentration gehört aber auf den Trail. Ein ungeschickter Misstritt kann das Erlebnis sofort beenden. Nochmals kritisch wird es dann auf dem kurzen Abstieg runter zum Berghaus Männdlenen. Während an der Sonne der Schnee sulzig ist, ist es hier im Schatten noch richtig eisig. Ich beobachte einige Rutschpartien und habe ich eigentlich meine Schuhe schon mal erwähnt?

Traumhafte Fernsicht

Traumhafte Fernsicht

Dann weiter Richtung Schynige Platte. Hier hatte ich ja die Strecke vor zwei Jahren so krass unterschätzt. Auf den technischen Passagen mit vielen Steinen war ich viel langsamer als gedacht. Heute mit dem Schnee habe ich das Gefühl es geht schneller. Die Steine sind vom Schnee überdeckt und man hat so zwar eine etwas rutschige, dafür aber ebene Fläche zum laufen. Als wir dann alle Schneepassagen hinter uns haben ist mein gefühltes Fazit, dass ich maximal 15 Minuten wegen den Verhältnissen verloren haben kann. Wahrscheinlich habe ich schlussendlich nicht mal Zeit verloren, denn ich komme exakt zur selben Zeit wie 2015 auf der Schynigen Platte an. Landschaftlich hier wahrscheinlich die schönsten Passagen. Links Eiger, Mönch und Jungfrau frisch verschneit. Rechts Thuner- und Brienzersee in ihren unvergleichlichen Blautönen. Die Strecke braucht aber ihre Konzentration und es kommen auch immer wieder Wanderer entgegen. Die machen meist freundlich Platz und ich habe etwas Mitleid mit ihnen, da der intensive Gegenverkehr wahrscheinlich ziemlich mühsam ist.

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Klassich: Eiger, Mönch und Jungfrau

Nach der First ist die Schynige Platte die nächste Station, welche mit einer Bahn erreichbar ist. Entsprechend hat es hier zahlreiche Supporter und es macht natürlich Freude, wenn einem zugejubelt wird. Kurz verpflegen und dann rein in den Downhill.

Strecke Etappe:       10.9 km
Strecke Total:          44.0 km
Hm Etappe:              +250 m / -800 m
Hm Total:                 +3‘300 m / -2‘200 m
Zeit Etappe :            2:01h (-0:03 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 8:34h (+0:00 gegenüber 2015)

Schynige Platte – Burglauenen / Downhill im Märchewald

Zeitlich bin ich voll im Plan. Körperlich geht es mir tiptop. Mental weiss ich, was mich bis Burglauenen erwartet und gehe das gelassen und geduldig an. Ich laufe einfach meine Tempo und lasse mich nicht stressen, wenn ich überholt werden. Meist sind es E51-Läufer und die sind halt hier schon praktisch im Endspurt. Wir sind erst grad so knapp bei der Hälfte. Ich hatte etwas Respekt wegen der Nässe im „Märchenwald“. Aber auch hier ist die Strecke in sehr gutem Zustand und unproblematisch zu laufen. Ich laufe flüssig und locker, ohne mich zu verausgaben.

Downhill nach Burglauenen

Downhill nach Burglauenen

Als wir dann vor Burglauenen auf die steilen Strassen kommen, lasse ich es ordentlich laufen. Ich bin überzeugt, dass meine Muskeln das mitmachen und habe Spass etwas Tempo zu machen. Richtig geniessen kann ich es dann runter über die letzte Wiese. Hier stehen viele Supporter und machen eine tolle Stimmung. Ich komme in absoluter Hochstimmung und ein paar Minuten früher als 2015 in die grosse Verpflegungsstation. Ich will mich gut erfrischen, aber möglichst wenig Zeit verlieren. Deshalb habe ich mir den Ablauf schon im Downhill genau festgelegt: Stöcke deponieren, Bouillon, Cola, Flaschen füllen, Wassermelone, Dropbag holen, Rucksack deponieren, Kopf beim Wassersprenger waschen, Toitoi, Kopf nochmals waschen, Unterhemd + Shirt wechseln, Cola, Wassermelone, Gel umpacken, Dropbag abgeben, Rucksack auf, Mütze auf, Sonnenbrille, Handschuhe, Stöcke packen und los!!!

Verpflegungsposten Burglauenen

Verpflegungsposten Burglauenen

Strecke Etappe:       8.5 km
Strecke Total:          52.5 km
Hm Etappe:              +150 m / -130 m
Hm Total:                 +3‘450 m / -3‘500 m
Zeit Etappe :             1:13h (-0:09 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 9:47h (-0:09 gegenüber 2015)

Burglauenen – Wengen / Das Rennen beginnt

Sechzehneinhalb Minuten hat die Pause gedauert, dann bin ich wieder auf der Strecke. Es sind grad 10 Stunden durch und ich habe gut die Hälfte des Rennens hinter mir. Immer wenn ich bis jetzt gerechnet habe, bin ich auf eine Finisherzeit von 20 Stunden gekommen. Die will ich ja eigentlich unterbieten und das ist auch realistisch. Es darf aber nicht viel dazwischen kommen und ich darf keine Fehler machen. Ich weiss auch, dass jetzt der entscheidende Teil kommt. Die Aufstiege nach Wengen und nachher auf den Männlichen teilen die Spreu vom Weizen. – Ich überprüfe meinen Status: Zeitlich voll im Plan / Muskeln okay, könnten letztes Jahr aber besser gewesen sein / Füsse sind in sehr gutem Zustand, keine Beschwerden bis jetzt, die Einlagen von Chrigu Härdi (www.haerdi-orthotech.ch) zahlen sich aus / Puls okay / Mental alles okay / keine speziellen Schmerzen / Verpflegung sicher konsequenter als letztes Jahr.

Ich gehe sehr entspannt in die Steigung rein und finde sofort einen guten Rhythmus. Ich geniesse die Ruhe und Einsamkeit, jetzt wo die E51-Läufer nicht mehr dabei sind. Vor zwei Jahren hatte ich hier den absoluten Kampf mit Krämpfen und mentaler Krise. Letztes Jahr ging es viel besser, ich war aber viel angespannter und nervöser. Heute laufe ich einfach meinen Tramp hoch. Zwei Bergbauern mähen eine brutal steile Wiese. Eigentlich sind sie es, welche heute die Höchstleistung bringen. Wir sind nur zum Spass hier. Die beiden sind richtig am chrampfen.

Aufstieg

Aufstieg

Ab und zu kann ich andere Läufer überholen. So auch ein Paar aus Frankreich. Er sieht etwas angeschlagen aus, sie noch ziemlich fit. Ich bin froh, bin ich alleine unterwegs. Ich merke dass ich durstig bin. Das ist kein gutes Zeichen. Ich versuche mehr zu trinken. Ich weiss, dass die Steigung bei einer Alp (Spätenalp) endet. Dort hat es einen Brunnen wo ich kurz Rast machen will. Kopf abkühlen und ordentlich trinken. Mit diesem Bild vor Augen kämpfe ich mich die letzten Höhenmeter der Steigung hoch. – Die Erfrischung ist dann fantastisch. Ich wasche meinen Kopf runter und trinke frisches Wasser. Dass ich während dieser Pause überholt werde, ist mir egal. Ich bin sicher, dass ich die „verlorene“ Zeit wieder gutmachen werde.

Bis Wengen geht es zuerst flach und nachher nochmals ca. 300m Downhill. Ich mag die flachen Stücke noch gut laufen und auch der teilweise steile Downhill macht mir keine Mühe. Die Einlagen funktionieren wirklich super. Ich hätte nicht gedacht, dass der positive Effekt so stark spürbar ist. Über 60 km und noch kein Fusssohlenbrennen!

In Wengen hat es wie immer einige Leute auf der Strasse, welche uns anfeuern. Das gibt wieder neue Motivation. Leider gibt es hier keine Bouillon am Verpflegungsposten. Ich fülle beide Flachen auf und kontrolliere, dass ich genügend Energie-Gels griffbereit habe. Knapp eine Viertelstunde eher als 2015, geht es auf Richtung Männlichen.

Strecke Etappe:       8.8 km
Strecke Total:          61.3 km
Hm Etappe:              +750 m / -400 m
Hm Total:                 +4‘200 m / -3‘900 m
Zeit Etappe :            2:00h (-0:04 gegenüber 2015)
Zeit Total:                11:47h (-0:13 gegenüber 2015)

Wengen – Männlichen / Pièce de résistance

Letztes Jahr hatte ich hier Mühe mit dem Magen und habe ein Charlotte-Hauri-Dragée eingeworfen. Heute fühle ich mich gut und immer noch ziemlich gelassen. Direkt ausgangs Dorf überhole ich wieder das französische Paar. Sie erklärt ihm den weiteren Streckenverlauf anhand des Höhenprofils. Ich weiss nicht, ob er alles mitbekommt, er scheint stark angeschlagen. Ich überlege, ob ich Ihnen in meinen gebrochenen französisch erklären soll, dass sie es praktisch geschafft haben, falls sie auf den Männlichen hoch kommen. Irgendwie bin ich heute aber nicht in Kommunikationslaune und ziehe einfach vorbei. Mir fällt auf, dass ich heute überhaupt noch mit keinem anderen Läufer richtig ins Gespräch gekommen bin. Irgendwie bin ich auf dem Ego-Trip.

Die Männlichen-Wand von Wengen aus gesehen

Die Männlichen-Wand von Wengen aus gesehen

Geduldig ziehe ich meine Bahnen. Von Gewitter heute keine Spur, dafür auch keine Wolke, welche Schatten spendet. Ab und zu sitzt ein Läufer am Wegesrand und macht eine Pause. Ich ziehe meinen Tramp durch. Es sind über 900Hm. Ich rechne: 100Hm/10 Minuten = rund anderthalb Stunden Aufstieg. Das Problem in dieser Steigung ist, dass Sie viel zu lange ist, um ohne Verpflegung durchzukommen. Man ist aber ständig so am Anschlag, dass man nichts Essen mag.

Ich sehe heute nicht die Möglichkeit, während dem Gehen hier zu essen. Deshalb entscheide ich mich für eine Verpflegungspause. Vorne am Schienbein habe ich leichte Krampferscheinungen. Nichts schlimmes, aber auch keine grossen Reserven mehr. So setze ich mich auf einen Stein, lasse den Puls fallen und verdrücke einen Energie-Gel. Ich werde überholt, unter anderem auch vom französischen Paar. Ich hole dann rasch wieder auf und hänge mich hinten dran. Sie gibt ihm dauernd durch, wie viele Höhenmeter der Aufstieg noch ist und gibt ihm regelmässig Trinkbefehle. Nach einigen Minuten hält er an und stellt sich neben die Strecke. Ich möchte wissen, wie die Konstellation zwischen den beiden ist. Aber wie gesagt: Heute bin ich nicht im Kommunikationsmodus um dies zu ergründen.

Das obligate Foto in den Lawinenverbauungen

Das obligate Foto in den Lawinenverbauungen

Beim nächsten Läufer auf welchen ich auflaufe, hänge ich wieder an. Voll auf Schmarotzer lasse ich mich von ihm die letzten 350m bis zum Männlichen hochziehen. Er hat einen guten gleichmässigen Tritt und ich kann so Energie sparen. Die Ankunft auf dem Männlichen ist dann immer wieder ein Höhepunkt. Es hat einige Betreuer, welche applaudieren. Der REGA-Helikopter steht dort und wenn man in die Verpflegungszone kommt, schaut einem der Arzt kurz in die Augen.

Die Perskindol-Massageplätze werden eifrig benutzt. Die Sitzbänke ebenfalls. Ich habe das Gefühl, ich war letztes Jahr hier noch fitter. Ist aber ein sehr subjektiver Eindruck. Ich trinke je zwei Becher Cola und Bouillon. Dazu esse ich Brot. Ich setze mich auch auf eine Sitzbank und versuche mich etwas zu erholen. Das französische Paar trifft nach ein paar Minuten ebenfalls ein. Sie schickt ihn direkt auf die Massageliege. Es ist das letzte Mal, dass ich die beiden sehe. Später sehe ich auf der Rangliste, dass sie hier aufgegeben haben. Ich hätte ihm doch sagen sollen, dass er es praktisch schon geschafft hat.

Strecke Etappe:       6.5 km
Strecke Total:          67.8 km
Hm Etappe:              +1‘250 m / -200 m
Hm Total:                 +5‘450 m / -4‘100 m
Zeit Etappe :             1:33 h (-0:02 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 13:20h (-0:15 gegenüber 2015)

Männlichen – Kleine Scheidegg / Erste Probleme

Ich bin immer noch rund 15 Minuten vor meiner Zeit vom letzten Jahr, als ich den Männlichen Richtung Kleine Scheidegg wieder verlasse. Hier kann und soll man Gas geben. Ich habe etwas Mühe, in den Laufschritt zu kommen, obwohl körperlich alles in Ordnung ist. Nach ein paar hundert Metern merke ich, dass ich immer noch einen Bissen Brot im Mund habe. Ich schaffe es nicht, dieses Stück noch runterzuschlucken und es wird deshalb zu Murmeltierfutter.

Männlichen

Männlichen

Rüber zur Kleinen Scheidegg ist es meist leicht abfallend. Körperlich wird man nicht so gefordert und das lässt Raum für sinnlose Gedanken: „Wie soll ich den UTMB schaffen, wenn ich hier nach 60km schon so müde bin?“ – „Ich könnte doch einfach mit der Bahn runter und dann gleich heim zu Frau und Kindern.“ – „Wie lange dauert denn das noch?“

Irgendwann schaffe ich es dann, meine Gedanken wieder sinnvoll zu fokussieren. Ich überlege, ob es heute bis Alpiglen ohne Stirnlampe, das heisst vor 21:30 Uhr reichen könnte. Es wird sicher knapp werden und irgendwie kommt nicht so richtig das Rennfieber bei mir auf. Das war hier letztes Jahr anders. Ich fasse den sinnvollen Gedanken, vor dem Aufstieg zur Lauberhornschulter noch einen Gel reinzudrücken. Das soll mir die nötige Energie geben. Mein Magen hat aber keine Lust mehr auf Nahrung und ich verlangsame bewusst ins marschieren, damit ich überhaupt etwas runter bringe. Die erste Portion spühle ich einfacher runter als gedacht. Erfreut nehme ich gleich den zweiten Teil. Das kommt aber gar nicht gut und innert Sekunden stehe ich am Streckenrand und übergebe mich. Gel und Bouillon sind auf jeden Fall schon wieder draussen. Ich schaue mich um, ob jemand meine Übung beobachtet hat. Scheint nicht so. Also Mund abputzen und weiter.

Der Magen ist immer noch nicht wirklich beruhigt. Und ich bin etwas beunruhigt wegen dem Flüssigkeits-, Salz- und Nahrungsverlust. Wird mir das hoch zum Lauberhornstarthaus Probleme bereiten? – Kurz vor der Kleinen Scheidegg zweigt der Weg nach rechts oben ab. Ich nehme ein „Charlotte-Hauri-Dragée“ und hoffe das bringt dem Magen etwas Linderung. Es ist abends so gegen sieben. Ein wunderschöner Sommerabend. Die Touristen sind wieder runter ins Tal gefahren und die E101-Läufer sind weit verteilt in der Landschaft. Einfach wunderschöne Momente in der Natur, alleine deswegen sich der ganze Lauf schon lohnt. Die Fernsicht ist immer noch sensationell, als ich oben ankomme.

Lauberhorn-Strecke im Sommer

Lauberhorn-Strecke im Sommer

Vor zwei Jahren fand ich das noch spektakulär, die Original-Lauberhorn-Abfahrtsstrecke runter laufen zu können. Jetzt finde ich es mühsam. Ski-Abfahrtsstrecken sind zum Ski-Abfahren und nicht fürs Trailrunning! Nach rund 70km macht mir nun zum ersten Mal die rechte Fusssohle Mühe. Ich habe das Gefühl, eine grosse Blase unten mitten auf der Fusssohle zu haben. Es ist kein starker Schmerz, aber ich fühle mich bergab etwas eingeschränkt. Über Russi-Sprung und Hundschopf geht es runter zur Wengeneralp. Ich freue mich, dass es endlich wieder aufwärts geht. Im Aufstieg zurück zur Kleinen Scheidegg überlege ich mir, wie ich meine Verpflegungssituation regeln will. Ich spekuliere darauf, dass es wieder Wassermelonen hat am Verpflegungsposten. Auf solche habe ich Lust und die würden auch Flüssigkeit reinbringen. Bouillon ist auch wichtig und Cola bringt etwas Energie. Ich habe für diese Etappe zwar rund 5 Minuten länger gebraucht, liege aber immer noch ein paar Minuten vor 2105.

Beim Verpflegungsposten in der Eisenbahnwerkstatt, setze ich mich dann direkt vor den Teller mit den Melonen und verdrücke vier Portionen. Wie geplant wird das ganze mit einem Becher Bouillon und zwei Bechern Cola ergänzt. Wasserflaschen füllen lassen ist auch wichtig.

Strecke Etappe:       10.0 km
Strecke Total:           77.8 km
Hm Etappe:              +400 m / -650 m
Hm Total:                 +5‘850 m / -4‘750 m
Zeit Etappe :             1:54h (+0:05 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 15:14 h (-0:10 gegenüber 2015)

Kleine Scheidegg – Alpiglen / Immer noch im Plan

Rennfieber kommt immer noch keines auf und richtig Lust zum weiterlaufen habe ich auch nicht. Warten bringt mich aber nicht weiter und so packe ich meine Stöcke und mache mich wieder auf die Strecke. Die Strecke führt zuerst leicht abwärts und traversiert dann rüber zur Moräne des Eigergletschers. Ich laufe hinter einer Frau, welche mich passieren lassen will. Letztes Jahr hatte ich hier Nicola Wahl vor mir. Die hat mich gut die Moräne hochgezogen und so beschliesse ich, es dieses Jahr wieder gleich zu machen. Die Dame will mich vorbei lassen, ich lasse ihr aber den Vortritt, obwohl ich schon etwas schneller könnte.

Genug der Einsamkeit für mich. Jetzt habe ich plötzlich Lust auf eine Unterhaltung. Ich frage sie, ob sie das erste Mal dabei ist. Sie war letztes Jahr dabei, konnte aber wegen dem Gewitter nicht die Ganze Strecke laufen. Ich frage wo sie gestoppt wurde. Sie sagt bei der Station Eigergletscher. Ich sage, ich war der letzte, welcher beim Eigergletscher noch durchlaufen konnte, bevor der Gewitterunterbruch kam. Sie sagt, sie war die erste, welche dort oben angehalten wurde. – Unglaublich. Wir waren vor einem Jahr praktisch zur selben Zeit am selben Ort und nun wieder genau gleich weit. Ich sage ihr, dass ich unter 20h finishen will. Sie meint dann müsste ich sie jetzt überholen. Nein, nein, wir marschieren jetzt gemeinsam da hoch. Du vorne.

Die Steigung hoch zur Moräne beginnt. Ich bleibe einfach hinter ihr. Sie „motzt“ zwischendurch etwas und meint sie sei am Anschlag. Ich habe auch nicht viel Reserven und rede ihr gut zu. Dann kommen wir auf die Moräne und das Leiden wird noch etwas stärker. Zwischenzeitlich grunzen und stöhnen wir wie in einem Frauentennis-Match. Es ist wirklich anstrengend und ich habe Mühe. Ich weiss aber, dass der Aufstieg nicht mehr allzulange dauert und wir es im Prinzip geschafft haben. Deshalb finde ich die Situation auch lustig und versuche meine Pacemakerin aufzuheitern und anzutreiben. Wie letztes Jahr hat es wieder Steinböcke unterhalb der Moräne. Lust für ein Foto anzuhalten habe ich nicht. Jetzt einfach durchziehen.

Vor der Station Eigergletscher

Vor der Station Eigergletscher

Oben bei der Station Eigergletscher angekommen, will sie etwas essen und mich ziehen lassen. Ich sollte auch etwas essen, möchte aber nicht wieder eine Sauerei veranstalten und verzichte deshalb momentan darauf. Wir tauschen noch die Namen aus, denn ich will wissen, in welcher Zeit sie das Rennen beendet. Später auf der Rangliste sehe ich, dass Sandra rund eine Stunde nach mir den Lauf erfolgreich geschafft hat.

Für mich geht es alleine auf den Eiger Trail. Diese Passage ist gut zu laufen, landschaftlich sehr eindrücklich und eine absoluter Lieblingsteil von mir. Letztes Jahr habe ich hier Vollgas gegeben. Erstens weil ich möglichst weit ohne Stirnlampe kommen wollte, zweitens weil das Gewitter von hinten nahte. Ich bin froh, dass es hier keinen Schnee mehr auf der Strecke hat. Richtig angreifen mag ich aber trotzdem nicht. Ich schaue einfach, dass ich konstant vorwärts komme und geniesse die Stimmung unter der Eiger-Nordwand.

Blick auf den Eiger Trail

Blick auf den Eiger Trail

Ich beginne meine Pläne für nach dem Zieleinlauf zu schmieden. Zuerst werde ich mir zwei Rivella kaufen gehen. Eines gleich runterstürzen. Dann will ich einen 20 Minuten Powernap machen. Erstens weil ich einfach auf der Schnauze bin, zweitens als Übung für den UTMB, wo ich dies während dem Rennen anwenden werde. Dann duschen und dann in die Jugendherberge ins Bett. Wie ich mich auf dieses Bett freue!!! Wie ich das verdient haben werde!!! Ich gehe davon aus, dass Oli bereits tief schlafen wird, wenn ich dann endlich im Zimmer ankomme.

Eiger-Nordwand im Abendglühen

Eiger-Nordwand im Abendglühen

Um 21:25 ziehe ich dann die Stirnlampe an. Bei der Gelegenheit wechsle ich auch gleich das Laufshirt gegen das Thermoshirt aus dem Rucksack. Nach einem tollen Sonnenuntergang wird es jetzt hier oben frischer. Zwei Kurzarm- / Kurzhosen-Läufer überholen mich. Nein, frieren will ich heute Nacht nicht mehr. Dann lieber kuschelig warm.

Nach 17:15h Laufzeit treffe ich in Alpiglen ein. Ich bin gut gelaunt und weiss, dass ich es praktisch geschafft habe. Unter 20 Stunden sollte es reichen. Vor Mitternacht im Ziel (19.5h) reicht wahrscheinlich nicht. Ich trinke Cola und versuche zwei getrocknete Aprikosen, da es hier keine Melonen gibt. Die Aprikosen schmecken sehr lecker und ich nehme gleich noch zwei. Dann wieder weiter.

Strecke Etappe:       8.9 km
Strecke Total:          86.7 km
Hm Etappe:              +300 m / -750 m
Hm Total:                 +6‘150 m / -5‘500 m
Zeit Etappe :             2:01h (+0:08 gegenüber 2015)
Zeit Total:                 17:15 h (-0.02 gegenüber 2015)

Alpiglen – Pfingstegg – Ziel / Abschluss mit Zwischenfall

Vor einem Jahr bin ich hier etwas frustriert, aber nach rund zwei Stunden Gewitterpause gut ausgeruht, runtergelaufen. Ich habe es voll laufen lassen, da ich einfach das Rennen möglichst schnell zu Ende bringen wollte. Zudem wussten wir, das wir nicht mehr zur Pfingstegg hoch müssen und es gab deshalb keinen Grund mehr, Energie zu sparen. Heute gehe ich es etwas gemütlicher an. Jetzt habe ich auch beim linken Fuss das gleiche Gefühl einer grossen Blase unten an der Sohle. Bergab macht das keinen Spass.

Zuerst auf breiten Strassen, dann wieder auf engeren Wegen geht es rasch runter Richtung Grindelwald. Das Zielgelände ist hell erleuchtet und lockt. Ich weiss aber, dass noch die Marmorbruch-Pfingstegg-Schlaufe wartet. Hier unten sitzt die Wärme des Tages und mein Thermoshirt ist viel zu heiss. Ich muss also nochmals anhalten und wieder das normale Langarmshirt anziehen. Die Spannung ist etwas weg und ich will einfach nur noch fertig machen. Deshalb bin ich froh, als der Downhill endet und es wieder aufwärts geht, rüber Richtung Marmorbruch.

Ich laufe einsam und fühle mich im Aufstieg nicht besonders wohl. Mein Magen rebelliert. Dann wechselt die Strecke wieder von der Strasse auf Singletrail und wird steiler. Mir ist schlecht und ich überlege, ob ich nochmals ein „Charlotte-Hauri-Dragée“ einwerfen soll. Ich merke dann aber, dass ich das gar nicht runterbringen würde und schon stehe ich wieder würgend am Streckenrand. Diesmal ist es nicht Flüssigkeit, welche hochkommt. Die ersten beiden Male kommt gar nichts, dann erscheinen die Aprikosen. Problem gefunden und wieder etwas gelernt! Ich fühle mich elend und erschlagen und möchte mich unsichtbar machen. Das gelingt  mir locker, indem ich die Stirnlampe ausknipse und mich hinter der nächsten Holzbeige hinkaure. Andere Läufer ziehen nur wenige Meter an mir vorbei, ohne mich zu bemerken. Es dauert wahrscheinlich nur eine Minute, bis ich mich wieder gesammelt habe. Ich trinke ein paar Schlucke Wasser, schalte die Lampe wieder ein und gehe zurück auf die Strecke.

Ich will einen Polen vorbeilassen, welcher gerade des Weges kommt. Er meint aber er sei „done“ und ich solle gehen. Das mache ich dann auch und ich bin tatsächlich schneller. Bergauf fehlt mir nun aber die Kraft und ich warte sehnlichst darauf, bis es endlich runter zur Gletscherschlucht geht. Der Aufstieg auf die Pfingstegg macht mir noch Sorgen. Es sind zwar nur noch so 250m, aber im momentanen Zustand können die recht mühsam werden. Ich muss mich irgendwie nochmals etwas regenerieren können.

Der Trail ist voller Wurzeln und Steine. Eigentlich nochmals ein „Märchenwald“. Mit frischen Beinen bei Tag hier durchzuwetzen wäre wohl Spass pur. Jetzt braucht es einfach sehr viel Konzentration, um Fehltritte zu vermeiden. Das Tosen der Gletscherschlucht kommt immer näher. Dann endlich runter zur Brücke, über die Brücke und dem letzten Fotografen vor die Linse. Dann rüber zum Verpflegungsposten Marmorbruch. Ich bin gut gelaunt und scherze mit dem Postenpersonal. Die sagen ich solle mich hinsetzen und bringen mir, was ich mir wünsche. Das sind vor allem zwei Becher Cola. Essen getraue ich mich nicht mehr. Ich freue mich auf die beiden Rivella, welche im Ziel auf mich warten!

Passage Gletscherschlucht

Passage Gletscherschlucht

Eine andere Läuferin sitzt auch am Verpflegungsposten. Ihr geht es anscheinend nicht so gut. Als sie sich dann auf einmal nach vorne beugt und auch zu würgen beginnt, nehme ich das als Zeichen für meinen Aufbruch. Die Pfingstegg will bezwungen werden! – Was mir Sorgen gemacht hat, geht dann viel besser als erwartet. Ich sage mir dauernd, es ist nur ein Mal 1000er-Stägeli. Das machst du normal in 12 Minuten. Mach es heute in der doppelten Zeit und alles ist im grünen Bereich. So ist es dann auch. Am meisten foppt mich der fast Vollmond, welcher hoch am Himmel steht. Mehrmals meine ich es sei die Stirnlampe eines anderen Läufers und kann nicht glauben, dass wir noch so weit hoch müssen.

Ich bin froh, als ich dann oben bin und überlege mir ob/was ich mir beim diesem letzten Verpflegungsposten noch genehmigen will. Ich finde ein Becher Tee könnte meinen Magen für den abschliessenden Downhill beruhigen. Der Tee wird von den Helfern frisch aufgebrüht und schmeckt tatsächlich sehr fein. Der Helfer fragt noch, ob die Temperatur okay ist. Da ich den ganzen Becher ohne abzusetzen in grossen Schlucken wegputze, erübrigt sich eine Antwort. Zum letzten Mal von Helfern verabschieden und zum letzten Mal in einen Downhill.

Ich lasse das anfangs sehr steile Ding einfach über mich ergehen und bin froh, als es weiter unten dann erträglicher wird. Ich weiss, ich muss noch zum Bach runter, dann über die Brücke, durch den Campingplatz, einige hundert Meter im Tal unten weiter, dann nochmals 100 Höhenmeter hoch ins Dorf und dann leicht abwärts bis zum Zielbogen. Immer noch kein Rennfieber. Mein „Vor-Mitternachts-Finish“ habe ich abgeschrieben. Ich werde wohl eine Zeit in den 19:40er erreichen. Wichtig ist mir das Rivella im Ziel. Vorne sehe ich keinen Läufer, hinten sehe ich keinen Läufer. Kein externer Antrieb, ich muss das Tempo selber machen.

Dann endlich unten beim Bach. Über die Brücke. Durch den Camping. Ich zwinge mich im Laufschritt zu bleiben. Ich habe aber keine Lust mehr und will marschieren. Das mache ich nach dem Campingplatz. Eine Frau steht mitten in der Nacht am Streckenrand und ruft „Hopp“. Ich zwinge mich wieder in den Laufschritt. Von hinten kommen Stirnlampen näher. Dann die Abzweigung hoch zum Dorf. Der Pole überholt mich und fragt mich, wie weit es noch sei. Ich sage ihm 2 Kilometer. Er flucht über die „überflüssige“ Pfingstegg-Schlaufe. Anscheinend ist er noch gestürzt und hat sich an der Hand verletzt. Dann lässt er mich stehen. Ich überhole dann doch noch zwei andere Läufer kurz bevor wir oben an der Hauptstrasse sind. Ich falte meine Stöcke zusammen. Die brauche ich nun nicht mehr. Ein letzter Blick auf die Uhr. Erstaunt stelle ich fest, dass es doch noch vor Mitternacht ins Ziel reicht. Nach so 100.7km kommt nun doch noch das Rennfieber auf. Es wird mich keiner mehr überholen und ich werde vor Mitternacht im Ziel sein! Vollgas Schlusssprint! So macht es Spass! Nach 19 Stunden, 25 Minuten und 24 Sekunden habe ich den E101 zum dritten Mal erfolgreich gefinisht!

Ich bekomme das Finisher-Shirt und die Eigerstein-Medaille. Dann will ich meine Rivellas kaufen. Unterwegs fängt mich aber Isabelle, die Freundin von Oli ab. Er sei jetzt grad duschen gegangen und Olis Vater würde uns nachher zur Jugi hochfahren. – Rivella ist ausverkauft, Powernap gestrichen. – Das Gefühl, als ich nach 1:00 Uhr im Bett liege ist unbezahlbar!

Strecke Etappe:       ca. 9 km
Strecke Total:           ca. 96 km
Hm Etappe:              ca. +265 m / -915 m
Hm Total:                 ca. +6‘400 m / -6‘400 m
Zeit Etappe :             2:10 h
Zeit Total:                 19:25 h
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Fazit Eiger Ultra Trail E101 2016

Die Eiger Ultra Trail Rennen sind super organisiert und finden in einer tollen Gegend und Atmosphäre statt. Da gibt es aus meiner Sicht nichts zu bemängeln.

Meine beiden ersten Teilnahmen waren für mich viel emotionaler. Dieses Mal konnte ich von den bereits gemachten Erfahrungen profitieren und das Rennen ist entsprechend unspektakulär und kontrolliert abgelaufen.

Ausrüstungstechnisch hatte ich Spass an den Schuhen (Hoka Rapa Nui). Den grössten Fortschritt habe ich aber dank der Einlagen von Härdi Orthotech, 5040 Schöftland (www.haerdi-orthotech.ch) gemacht. Danke Chregu, die Dinger sind super! Ich hatte überhaupt keine Blasen im Ziel und bereits am Sonntag kein Fussbrennen mehr.

Die Ernährung ist ein absoluter Schlüsselfaktor im Rennen. Bis Männlichen hatte ich das gut im Griff, nachher leider nicht mehr. Hier muss ich sicher beim UTMB sicher noch cleverer und sorgfältiger Vorgehen.

Geärgert hat mich, dass mir der linke Schultergurt des Rucksacks immer runter gerutscht ist. Zu Hause habe ich festgestellt, das die Gurten einfach nicht symmetrisch eingestellt waren. Schlussendlich ein kleines Problem und es ist ein gutes Zeichen, wenn man sich nur ab solchen Dingen nerven muss.

Ich denke grundsätzlich steht einem erfolgreichen Finish am UTMB Ende August nichts im Wege. Ich muss konsequent weiter trainieren um die Form noch etwas zu verbessern. Ansonsten mental bereit sein, nötigenfalls auch 4o oder mehr Stunden unterwegs zu sein. Ich freue mich auf diese Herausforderung! 🙂

5 Kommentare zu Eiger Ultra Trail 2016 – Der Plan geht diesmal auf

  1. Brigitte daxelhoffer 21. Juli 2016 um 20:26 #

    Martin ein gelungener bericht!ich musste ein paar mal lachen und habe mit dir mitgefühlt!
    Alles gute für den utmb!da habe ich null bedenken für dich!

    • Martin Hochuli 21. Juli 2016 um 21:50 #

      Hoi Brigitte. Mir gibt zu denken, dass ich eine Stunde auf Dich verloren habe. Letztes Jahr war ich noch näher dran. Wahrscheinlich muss ich auch mal in die Wüste ins Trainingslagerr! 🙂

  2. Bernd Grasmann 22. Juli 2016 um 16:41 #

    Hallo Martin,

    wieder einmal ein toller Laufbericht – habe ihn richtiggehend genossen !

    hau rein

    Bernd

  3. Marco Leuenberger 23. Juli 2016 um 15:48 #

    Hi Martin, wie eh und je toll geschrieben. ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder. gruss marco

    • Martin Hochuli 24. Juli 2016 um 9:56 #

      Hoi Marco
      Danke für das Lob.
      Ich bin sicher wir treffen uns wieder. Die Szene ist ja nicht so riesig!
      Gruess, Martin