Kurze "Halbzeit-Pause"

Eiger Ultra Trail E101 2015 – Die Lehren gezogen

Vorbereitung Eiger Ultra Trail

Eigentlich wollte ich in die Woche vor dem Rennen nicht mehr trainieren und ein paar Tage mit Silvia ohne die Jungs verbringen. Es stellte sich dann heraus, dass unser Hotel „Sonne“ in Bezau, Christian Meusburger gehört. Christian ist ein Spitzenläufer, hat beim Eiger Ultra Trail eine Bestzeit von 14:24h und war in der Vorwoche beim Salomon 4 Trails auf den 3. Rang gelaufen. – Klar habe ich mich da zweimal für den Lauftreff um 7:00 Uhr angemeldet und Christian dann Löcher in den Bauch gefragt. Schon inspirierend, wenn man die Gelegenheit hat, einen solchen Top-Läufer kennen zu lernen. Er hat allerdings auch einen 1000Hm-Berg direkt hinter dem Haus. Ich hatte meine Höhenmeter-Training in der Vorwoche auf dem 1000er-Stägeli absolviert und dieses innert 8 Tagen, 21 mal bezwungen, was so 4’500Hm entspricht.

Am Freitag Nachmittag, bin ich dann mit dem Zug nach Grindelwald gefahren und habe in der Downtown-Lodge in einem 10er-Schlag eingecheckt. Leid taten mir dabei die beiden jungen Asiatinnen, welche als einzige Nicht-Läufer mit 2 Italienern, 1 Italienerin, 1 Deutschem und 4 Schweizern hier eingepfercht waren. Die beiden würden wohl morgens um 3:00 Uhr grosse Augen machen, wenn wir Tagwache haben. Materialkontrolle und Startnummer-Ausgabe funktionierte rasch und reibungslos. Ich machte meine Ausrüstung bereit und ging dann noch eine Portion Spaghetti essen. Ich musste mich auf der Sonnenterrasse aber beeilen, da nach 18:00 Uhr recht rasch ein Gewitter aufzog. Morgen um diese Zeit würde ich in der Männlichen-Region sein und dann habe ich keine Lust auf ein Gewitter!

Um 19:30 Uhr war dann das obligatorische Briefing. Ich treffe dort meinen ehemaligen Arbeitskollegen aus Langenthal Tinu Jost. Es ist sein erster 100km-Lauf, aber da er topfit ist, werde ich ihn morgen wohl wieder nur am Start sehen. Keine aufregenden Neuigkeiten am Briefing. Der Eiger Ultra Trail E101 ist neu ein Rennen der Ultra Trail World Series. Dadurch hat es mehr Top-Läufer am Start. Es sollte die normale Strecke gelaufen werden. Wettermässig gibt es die Möglichkeit von Gewittern am Abend. Zurück in die Lodge, nochmals alles checken und dann um 21:00 ins Bett. Ich kann lange nicht einschlafen, als es dann klappt, schlafe ich bis am Morgen durch. – 2:50 Uhr geht der erste Wecker und ich stehe um 3:00 Uhr auch auf. Neuralgische Stellen abtapen, anziehen, einen Shake, eine Banane und einen Gel essen und dann los zum Start.

Briefing

Briefing

Strategie und Ziele

Letztes Jahr hatte ich ja dauernd Krämpfe auf der zweiten Streckenhälfte. Dies will ich dieses Jahr vermeiden, indem ich es bis Burglauenen etwas langsamer angehen will und mich vor allem in den Aufstiegen stärker an der Pulsuhr orientieren will. Zudem die Roger Kälin-Formel anwenden: „An jedem Verpflegungsposten zwei Becher Bouillon!“.

Ziel wäre eine Schlusszeit von unter 20h, ohne total ausgepumpt zu sein. In 4 Wochen ist ja dann der Irontrail T201 und dann sollte im besten Fall zweimal 100km laufen. Ich nehme mir vor, folgende beiden Grundsätze einzuhalten: 1.) Puls nicht über 160BPM gehen lassen. 2.) An jeder Verpflegung 2 Becher Bouillon.

Höhenprofil

Höhenprofil

Das Rennen teile ich mir in drei Abschnitte ein:

1.) Das Morgen-Programm: Start bis Faulhorn
Hier gilt es einen ruhigen Rhythmus zu finden, Energie zu sparen und sich gut zu verpflegen.

2.) Das Nachmittags-Programm: Faulhorn bis Männlichen
Auch hier kann man noch nichts gewinnen, aber viel verlieren. Sorgfalt und Geduld beim Downhill bis Burglauenen und nachher die beiden entscheidenden Aufstiege nach Wengen bzw. auf den Männlichen.

3.) Das Abend-Programm
Hier gilt es dann im Idealfall gegenüber letztem Jahr Gas zu geben. Möglichst weit kommen vor dem Einbruch der Dunkelheit und nachher in der Nacht sauber fertig laufen.

Vor dem Start um 4:30 Uhr

Vor dem Start um 4:30 Uhr

Start – Grosse Scheidegg / Kolonnenverkehr

Während ich vor einem Jahr noch brutal nervös war vor dem Start, bin ich jetzt ganz ruhig. Kommentar von Tinu Jost: „Bei 100km bringt es jetzt gar nichts, vorher nervös zu sein.“ Wo er recht hat, hat er recht. Um 4:30 Uhr ist Startschuss. 600 Läuferinnen und Läufer machen sich auf den Weg durchs Dorf Richtung Aufstieg zur Grossen Scheidegg. Als die Wege enger werden, bildet sich eine lange Menschenschlange und nur vereinzelt probiert einer zu überholen. Ich habe mich anscheinend an der richtigen Stelle eingeordnet und der Puls bewegt sich nicht höher als 160. Ich merke, dass ich vergessen habe, mich mit Sonnencrème einzuschmieren. Nächstes Mal schreibe ich eine genaue Checkliste, welche Punkte ich am Morgen alle erledigen muss.

Stau vor der kleinen Brücke bei km 2.5

Stau vor der kleinen Brücke bei km 2.5

Es tagt langsam und ich kann die Stirnlampe ausschalten und einpacken. Auf der Grossen Scheidegg dann der erste Verpflegungsposten. Bouillon gibt es hier noch keine. Ich fülle meine Flaschen und weiter gehts. Zeitlich liege ich praktisch identisch wie letztes Mal.

Im ersten Aufstieg

Im ersten Aufstieg

Strecke Etappe:       7.7 km
StreckeTotal:           7.7 km
Hm Etappe:             +1‘100 m / -150 m
Hm Total:                 +1‘100 m / -150 m
Zeit Etappe :             1:48 h  (+0:03 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 1:48 h (+0:03 gegenüber 2014)
Sonnenaufgang auf der Grossen Scheidegg

Sonnenaufgang auf der Grossen Scheidegg

Grosse Scheidegg – First – Bort – First / Geduld und Disziplin

Vor dem Weiterlaufen noch das obligatorische Sonnen-Aufgangsfoto geknipst. Es ziehen ein paar Schleierwolken auf und das passt mir. Weniger Sonneneinstrahlung, weniger Hitze, weniger Gewitterrisiko. Die flachen und abfallenden Stücke laufe ich locker, bergauf lasse sich mich nicht verleiten und marschiere konsequent. Ich kontrolliere stetig die Anzeige der Pulsuhr.

Erste First-Passage. Bild: http://ultra-trail.ch/

Erste First-Passage. Bild: http://ultra-trail.ch/

Diese Phase jetzt ist relativ langweilig. Schon vor der Grossen Scheidegg hätte ich pinkeln sollen. Dieses seltene „Highlight“ in einem Ultra-Marathon wollte ich mir aber bewusst für später aufheben. Der sehr steile Downhill nach Bort ist sicher nicht mein Lieblingsabschnitt dieses Rennens. Deshalb plane ich mein Austreten bei der offziellen Bort-Toilette (fast wie im Flugzeug) und freue mich im Abstieg auf die Erleichterung. Anhand des Urins kann man erkennen, ob man genügend Flüssigkeit zu sich genommen hat. Wenn sich der Finger rot verfärbt, ist man dehydriert.

Nun folgt der erste Disziplin-Test beim 600Hm-Aufstieg wieder hoch zur First. Das Feld hat sich gelockert und jeder muss nun sein Tempo selber finden. Letztes Jahr habe ich hier wohl zu stark forciert. Heute versuche ich den Puls bei 155 zu halten. So werde ich zwar ab und zu überholt, das spielt aber keine Rolle und es ist jetzt nicht die Zeit für „Privatrennen“. Am einfachsten geht es, wenn ich mich hinter einen Läufer klemme, bei welchem ich das Gefühl habe schneller sein zu können. So kann ich mich komfortabel ziehen lassen und Energie sparen. Ich versuche alle 45 Minuten einen Energie-Gel zu konsumieren. Da die Belastung noch nicht so hoch ist, klappt das bis jetzt gut.

Aufstieg zur First. Kräfte einteilen!

Aufstieg zur First. Kräfte einteilen!

Oben auf der First ist dann viel Betrieb. Viele Angehörige und Betreuer warten auf ihre Läufer und inzwischen sind auch die E51 Läufer auf der Strecke. Bei dieser Verpflegung wird zum ersten Mal Bouillon angeboten und ich trinke gemäss Plan meine zwei Becher. Wasser auffüllen und weiter, gleich wieder in einen Anstieg.

Strecke Etappe:       15.0 km
Strecke Total:          22.7 km
Hm Etappe:              +950 m / -750 m
Hm Total:                 +2‘050 m / -900 m
Zeit Etappe :             2:21 h (+0:11 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 4:09 (+0:14 gegenüber 2014)
Verpflegungsposten First

Verpflegungsposten First

First-Faulhorn / Abschluss Morgenprogramm

Der Himmel ist nun vollständig bedeckt und es sind für mich perfekte Laufbedingungen. Ich lache innerlich. Ein flacher Marathon wäre schon lange abgeschlossen, bei einem Ultra-Trail bedeuten die ersten vier Stunden nur Vorgeplänkel. Die E51-Läufer sind generell etwas schneller unterwegs und ich werde deshalb öfters überholt. Ich orientiere mich aber weiterhin nur an der Pulsuhr. Immer noch Disziplin und Geduld: Flachstücke und Downhills laufen, aufwärts marschieren, regelmässig essen und trinken.

Sonst alles im grünen Bereich. Der neue Olmo20-Rucksack mit seinen vielen Taschen ist perfekt. Ich kann nun leicht eine Pocket-Kamera mitnehmen und unterwegs Fotos machen. Gestern habe ich mir noch neue Black Diamond-Stöcke gekauft welche auch viel Spass machen. Körperlich keine Probleme, nur die rechte Fusssohle schmerzt etwas, allerdings hatte ich damit schon die letzten beiden Wochen Mühe. Das werde ich in den nächsten Tagen auskurieren müssen.

Landschaftlich ist es hier wunderschön. Vorbei am Bachalpsee und weiter Richtung Bussalp. Der Trail ist abwechslungsreich und es läuft sich flüssig. Einmal verschiebt sich die Gamasche beim linken Fuss und es gerät prompt ein Steinchen in den Schuh. Kurze Pause, Schuh leeren und weiter. Ist zwar nervig, wenn man aber noch 70km vor sich hat, muss das einfach sein.

Verpflegung Bussalp wieder zwei Becher Bouillon, Wasser auffüllen, Gel mitnehmen und weiter. Es folgt nun der 650Hm-Aufstieg zum Faulhorn. Es gibt immer noch nichts Neues zu berichten: Puls unter Kontrolle halten, Trinken, Essen, etwas schönes oder sinnvolles denken! – Auch hier werde ich wieder überholt. Ich achte nun darauf, wie stark sich der Überholende anstrengen muss. Das hört man am besten an der Atmung. Ich bin dann jewils beruhigt, wenn die Schnaufen wie eine Dampflokomotive. Für mich gilt immer noch: „Energie sparen. It’s not time für racing yet!“

Aufstieg zum Faulhorn

Aufstieg zum Faulhorn

Ich hänge mich an eine Gruppe von drei Deutschen. Sie diskutieren vor sich hin und durch die Unterhaltung fällt das marschieren leichter. Dann sind wir auf dem Faulhorn, höchste Stelle der Strecke mit 2681 müM. Ich wollte zwischen 11:00 und 11:15 hier oben sein. Jetzt ist es genau 11:00Uhr. Perfekt. Es zieht hier oben und ist ziemlich frisch. Zwei Becher Bouillon (ich gewöhn mich langsam an das Zeug) und ein Becher Cola. Dann weiter, es ist etwas ungemütlich hier oben.

Mein Morgenprogramm ist somit genau nach Plan erfolgreich abgeschlossen. Ich war 10 Minuten langsamer als 2014, habe aber das Gefühl mehr Reserven zu haben.

Strecke Etappe:       10.4 km
Strecke Total:           33.1 km
Hm Etappe:              +1000 m / -500 m
Hm Total:                 +3‘050 m / -1‘400 m
Zeit Etappe :             2:21h (-0:04 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 6:30h (+0:10 gegenüber 2014)
Faulhorn

Faulhorn in Sicht

Faulhorn – Schynige Platte / Die Erfahrung kommt zum Tragen

Das Nachmittag-Programm hat nun also begonnen und das hat es in sich. Zuerst der Abstieg von insgesamt 1785m bis Burglauenen, um nachher wieder 1205m bis zum Männlichen aufzusteigen. Heftiges Programm und ich habe einigen Respekt.
Als ich das Faulhorn verlasse, beginnt es leicht zu tröpfeln und ich beginne sofort an die Hände zu frieren. Es bleibt aber bei Tropfen und durch die Bewegung wird mir rasch wieder warm. Letztes Jahr hatte ich die Strecke bis zur Schynigen Platte total unterschätzt. Dadurch hatte ich das Gefühl, nicht vorwärts zu kommen und dies wiederum hat eine mentale Krise ausgelöst. Jetzt weiss ich, was mich erwartet und gehe deshalb viel gelassener rein. Auf dieser Strecke hat es bei schönem Wetter sehr viele Wanderer unterwegs. Da heute nicht strahlend Sonnenschein ist, wollen bedeutend weniger Leute aufs Faulhorn die Strecke ist entsprechend freier, was es einfacher macht. Der Weg ist technisch zwischendurch recht anspruchsvoll und man muss sehr gut achten, wo man die Schritte setzt. Ein Fehltritt und das Rennen kann sofort vorbei sein.
Blick zum Brienzersee

Blick zum Brienzersee

Körperlich zwickt es mich links im Kreuz etwas. Ich hoffe, das wird nicht schlimmer. Es besteht sonst die Gefahr einer Schonhaltung und dadurch läuft man nicht mehr symmetrisch, was dann wiederum in anderen Beschwerden oder Muskelproblemen enden kann. Die Strecke zieht sich auch heute, aber heute stresst mich das nicht. Kurz vor der Schynigen Platte dann ein kleiner Schreckmoment. Ich spüre einen Schmerz am Rücken beim Hosenbund und habe das Gefühl, dass es da aufgescheuert ist. Das wäre hässlich, bei nicht einmal Halbzeit. Ich halte beim Sanitätsposten und die Sanitäterin sagt mir, es ist nur etwas rot, etwas wie Sonnenbrand. Aber nicht aufgescheuert. Okay, ich hoffe das bleibt so.
Berghaus Männdlenen

Berghaus Männdlenen

Beim Verpflegungsposten Schynige Platte bin ich letztes Jahr abgesessen und habe eine längere Pause gemacht und Chips gegessen um mich wieder zu motivieren. Dieses Jahr genehmige ich mir auch ein paar Chips (neben den zwei obligatorischen Bechern B.) und ziehe dann weiter ohne abzusitzen. Auch auf dieser Etappe habe ich ein paar Minuten aufgeholt gegenüber der letztjährigen Zeit und bin bereits fast gleich schnell (bei wesentlich besserer Verpflegung, mentalem Zustand und körperlichen Reserven).
Strecke Etappe:       10.9 km
Strecke Total:          44.0 km
Hm Etappe:              +250 m / -800 m
Hm Total:                 +3‘300 m / -2‘200 m
Zeit Etappe :            2:04h (-0:06 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 8:34h (+0:04 gegenüber 2014)

Schynige Platte – Burglauenen / Der gefürchtete Downhill

Jetzt geht es wirklich abwärts. Zum Glück nur topografisch. Ich laufe auf einen meiner Schweizer Downtown Lodge-Zimmerkameraden. Er hat Probleme mit dem Fuss und musste sich schon zweimal pflegen lassen und ich überhole ihn deshalb und wünsche ihm alles Gute.
Auch auf diesem Abschnitt bin ich letztes Jahr fast verzweifelt, da Burglauenen einfach nicht näher kommen wollte. Heute weiss ich das und bin geduldig. Körperlich und mental alles in Ordnung. Zeitplan stimmt. Alles in Ordnung. Meine Lieblingsabschnitt hier ist der „Märchenwald“. Der Trail windet sich in unzähligen Serpentinen und noch mehr Wurzeln den Wald runter. Volle Konzentration ist gefordert. Es macht aber viel Spass, solche trotzdem flüssigen Strecken zu laufen.
Runter durch den Märchenwald

Runter durch den Märchenwald

Der giftige kurze Gegenanstieg macht dann weniger Spass, gehört aber auch dazu. Dann endlich kommt der Talboden näher und wir laufen bei der grossen Verpflegungsstation in Burglauenen ein. Hier hat es wieder viele Zuschauer und wir bekommen entsprechend Applaus und Anfeuerungen, was natürlich Energie gibt. Nach 9:56h bin ich in Burglauenen. Letztes Jahr war ich eine Minute früher hier :-).
Das runterlaufen hat meinen Darm sortiert und ich muss mal für grosse Kerle. Vor dem einzigen ToiToi verliere ich dann einige Minuten mit warten und ich klopfe mal dagegen, da ich nicht sicher bin ob der Insasse eingeschlafen ist. Urin sieht gut aus (das macht man natürlich nicht mit dem Finger, sondern optisch):
Dehydration color chart at Michigan Bluff, mile 55 of Western States 100. Photo: Jason Headley
Dann hole ich meinen Dropbag mit zusätzlichen Gels und lade diese in den Rucksack um. Bouillon, Cola, Wasser füllen und weiter.
Strecke Etappe:       8.5 km
Strecke Total:          52.5 km
Hm Etappe:              +150 m / -130 m
Hm Total:                 +3‘450 m / -3‘500 m
Zeit Etappe :             1:22h (-0:03 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 9:56h (+0:01 gegenüber 2014)
Kurze "Halbzeit-Pause"

Kurze „Halbzeit-Pause“

Burglauenen – Wengen / Die Stunde der Wahrheit!

Ich bin der Meinung, dass der Eiger Ultra Trail E101 erst hier in Burglauenen richtig beginnt. Hier zeigt sich, wer die Kräfte richtig eingeteilt hat, um die beiden nun folgenden Aufstiege nach Wengen und auf den Männlichen durchzuziehen. Hier haben 2014 meine Probleme (Muskelkrämpfe) begonnen. Entsprechend gespannt (wenn auch zuversichtlich) bin ich, wie es mir heute gehen wird!
Die E51-Läufer zweigen hier ab Richtung Grindelwald und die Strecke gehört nur noch uns E101-Läufern. Zu Beginn des Anstiegs rufe ich mir nochmals die wichtigen Punkte bis Wengen in Erinnerung: 1.) Puls unter 160 halten. 2.) Alle 45 Minuten ein Gel, auch wenn ich keine Lust habe.
Eile mit Weile! Schritt für Schritt! Höhenmeter für Höhenmeter! – Muskeln fühlen sich gut an. Vor mir sehe ich in einigem Abstand Läufer. Ich bleibe geduldig und versuche nicht, die Lücke zu schliessen. Mein Ziel ist es, bis Wengen durchzumarschieren, ohne eine Pause machen zu müssen. Schon bald kann ich eine Engländerin überholen, welche stehen bleiben muss. Bald überholt sie mich wieder und muss dann wieder Pause machen. Das spiel wiederholt sich ein paar Mal und ich muss innerlich lachen, als ich ihren Atemrhythmus beim überholen höre. Sie läuft voll am Anschlag. – Genau so habe ich das letztes Mal auch gemacht.
Die Streckenführung hier teilweise spektakulär, da nur ein schmaler Pfad und rechts mehrere hundert Meter bis zum Talgrund. Ich kann ab und zu stehende Läufer überholen. Als dann der erste Anstieg überwunden ist und eine Flach- und Bergabpassage kommt, kann ich im leichten Laufschritt bewältigen, während viele andere bereits nur noch marschieren können. Zwischendurch werde natürlich auch ich überholt, aber insgesamt bin ich eher auf dem Vormarsch.
Schon bald in Wengen

Schon bald in Wengen

Als ich um eine Kurve biege, pinkelt dort gerade eine Französin am Wegesrand und beschwert sich, dass es „dur“ sei als Frau, hier einen guten Platz zu finden. Das haben es die Männer sicher leichter. Ich schaue weg und laufe vorbei. Sie holt mich bald wieder ein und zieht an mir vorbei. Dann verpasst sie eine Abzweigung und ich kann sie mit meinem top-französisch retten: „Eh, c’est à droite ici!“ – Nun bin ich wieder vorne und das bleibt auch bis Wengen so.
Ich bin überglücklich, dass ich ohne Stopp und Krämpfe nach Wengen hoch gekommen bin. Hier gibt es leider keine Bouillon und ich falle schon fast in Entzugserscheinungen. Ich frage, ob der Sieger schon feststeht. Der Posten verneint, doch 3 Sekunden später kommt der Funkspruch: „Siegerzeit Urs Jenzer 11h 44 Minuten!“ – Tja, auch dieses Jahr platzt mein Traum vom Tagessieg hier in Wengen. 🙂
Ich bin in Hochstimmung. Ich liege nun fast 30 Minuten besser als 2014 und bin viel besser drauf. Das macht Hunger auf mehr. Nun heisst es aber zuerst das Nachmittags-Programm abzuschliessen und das heisst auf den Männlichen zu kommen.
Strecke Etappe:       8.8 km
Strecke Total:          61.3 km
Hm Etappe:              +750 m / -400 m
Hm Total:                 +4‘200 m / -3‘900 m
Zeit Etappe :            2:04h (-0:26 gegenüber 2014)
Zeit Total:                12:00h (-0:25 gegenüber 2014)

Wengen – Männlichen / Die Königsetappe

Im Dorf hat es natürlich einige Leute, welche beim vorbeilaufen auch Applaus spenden. Das gibt Energie und lässt einem im Laufschritt bleiben. Körperlich schmerzen beide Fusssohlen etwas und es ist mir etwas schlecht. Die Fusssohlen sind nicht anders zu erwarten nach über 12h und 60km auf den Füssen. Der Magen macht mir mehr Sorgen, da ich unbedingt noch einen Gel nehmen sollte um Energie für den Aufstieg zu haben.
Ich versuche die Aufstiegszeit zu berechnen, weiss aber nicht genau, wie viele Höhenmeter es sind. Ich bin der Meinung, es sind etwas weniger als 1000Hm. Tatsächlich sind es nur etwa 830Hm und mit knapp 1000Hm bin ich auf der sicheren Seite. Der Wegweiser verkündet eine Wanderzeit von 3:10h und ich fühle mich in der Lage, diese Zeit zu halbieren. Das würde heissen, ich wäre ca. 18:10Uhr oben. Mal sehen, was möglich ist.
Wanderzeit 3:10h / Trail-Running-Zeit ?

Wanderzeit 3:10h / Trail-Running-Zeit ?

Die Französin war schneller bei der Verpflegung und ist wieder vor mir. Ausgangs Wengen überhole ich sie wieder, als es in den Anstieg geht. Die Wolken haben sich verzogen und es wird nun sonnig und richtig warm. Ich überlege mir, ob das die Gewittergefahr verstärken könnte. Das macht mir momentan aber weniger Sorgen, als mein Magen. Ich sollte essen, mir ist aber leicht schlecht und ich habe keinen Appetit. Bis jetzt hatte ich den ganzen Tag Durst und konnte immer trinken, momentan macht mir aber auch das keinen Spass mehr. – Ich entschliesse mich, eine Charlotte Hauri-Magentablette zu versuchen, welche ich ihr beim Swissman abgeschnorrt hatte. Also runter mit der orangen Pille und Pace etwas zurücknehmen. Die Französin überholt wieder und ich  werde sie erst auf dem Männlichen wieder sehen.
Aufstieg zum Männlichen

Aufstieg zum Männlichen

Die Tablette wirkt dann tatsächlich und in einem kurzen Flachstück spühle ich einen Gel runter. Ab und zu überhole ich andere Läufer, welche stehen oder sitzenbleiben um wieder zur Kräften zu kommen. Ich kann durchziehen und schraube mich langsam höher. Irgendwann lichtet sich der Wald dann und wird von den markanten stählernen Lawinenverbauungen abgelöst. Mir gefällt dieser Anblick, weil es ein Zeichen ist dass wir bald oben sind. Ein Sicherheitsposten teilt mir mit, dass es noch rund 100Hm sind. Also rund 10 Minuten. Von oben hört man bereits Jubel, Applaus und Kuhglocken.
Der Gipfel kommt näher

In die Lawinenverbauungen

Um 18:05 Uhr bin ich dann oben. Tatsächlich konnte ich die angegebene Wanderzeit halbieren. Immer noch keine Anzeichen von Krämpfen. Die Französin beugt sich total erschöpft über einen Tisch und es wird gleich ein Sanitäter gerufen. Weiter hinten übergibt sich ein anderer Läuferin mehrmals. Verschiedene Läufer telefonieren mit Angehörigen. Einer teilt seinem Schatz mit, dass er jetzt hier noch 15 Minuten Pause macht und es nach Mitternacht werden wird. – Mir geht es gut, auch in diesem Anstieg musste ich nicht die letzten Kräfte anzapfen. Bouillon, Tee, Gel und Wasser auffüllen und weiter!
Wenige Meter vor dem Männlichen

Wenige Meter vor dem Männlichen

Nachmittags-Programm sehr erfolgreich abgeschlossen! – Nun folgt das grosse Abendprogramm!
Strecke Etappe:       6.5 km
Strecke Total:          67.8 km
Hm Etappe:              +1‘250 m / -200 m
Hm Total:                 +5‘450 m / -4‘100 m
Zeit Etappe :             1:35 h (-0:20 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 13:35h (-0:45 gegenüber 2014)
Teil des Sicherheitskonzepts. REGA-Heli auf dem Männlichen stationiert

Teil des Sicherheitskonzepts. REGA-Heli auf dem Männlichen stationiert

Männlichen – Kleine Scheidegg / It’s race time!

Zwei Drittel der Strecke sind absolviert. Die schwierigen Aufstiege allesamt hinter mir. Jetzt kann ich an einer guten Finisher-Zeit arbeiten. Traum wäre 19h, das ist jetzt immer noch realistisch, wenn auch knapp. Super wäre vor Mitternacht im Ziel, was 19.5h wären. Ziel muss sein, unter 20 Stunden zu bleiben. – Grösstes Problem momentan immer noch die brennenden Fusssohlen. Das ist aber wie Stechmücken oder Mundgeruch einfach eher lästig, als ein wirkliches Problem.
Super Überblick über die Strecke. Auf der Grossen Scheidegg im Hintergrund, waren wir heute auch schon!

Super Überblick über die Strecke. Auf der Grossen Scheidegg im Hintergrund, waren wir heute auch schon!

Vor mir liegt nun das leicht abfallende Stück Richtung Kleine Scheidegg, welches ich 2014 nur marschieren konnte und auf dem ich schlussendlich wegen massiven Krämpfen in beiden Beinen fast aufgegeben hätte. Hier kann ich also nochmals richtig Zeit gutmachen. Also Modus leichter Laufschritt und los! Es geht für mich jetzt darum, vor dem Einbruch der Dunkelheit (ca. 21:30) noch möglichst weit zu kommen. Vor allem auf dem Eiger Trail kann ich bei Tageslicht viel schneller laufen. Soweit sind wir aber noch nicht!
Die Strecke bis zum Aufstieg zur Lauberhornschulter zieht sich länger als ich in Erinnerung habe. Ich halte Ausschau nach meinem „Stolperbach“, wo ich die Muskelblockade eingefangen hatte. Es dauert lange, aber er kommt und ich mache ein Foto dieser legendären Stelle.
Mein legendärer Bach von 2014!

Mein legendärer Bach von 2014 mit den beiden Stolpersteinen!

Dann bin ich kurz vor der Kleinen Scheidegg und zweige nach oben Richtung Lauberhornschulter ab. Kleiner Aufstieg von ca. 200Hm. Kein Problem heute. Dann die Lauberhorn-Abfahrtsstrecke runter. Ich mache ein Foto, nachdem ich den legendären Hundschopf runtergestiegen bin.
Hundschopf von unten (ohne Schnee)

Hundschopf von unten (ohne Schnee)

Dann komme ich auf die Wengernalp und von dort nochmals ein kleiner Anstieg zurück auf die Kleine Scheidegg. Auf der Strecke sind die Läufer nun weite verteilt. Bei den Verpflegungsposten kann ich aber jeweils gleich ein paar überholen, da viele absitzen und sich etwas ausruhen. Ich will aber so schnell wie möglich weiter. Es ist 19:54, als ich auf der Kleinen Scheidegg ankomme. Ich war auf diesen 10km über 25 Minuten schneller und liege bereits 1:11h unter meiner Zeit vom letzten Jahr. Zur Feier des Tages genehmige ich mir zwei Schnitze Wassermelone, welche göttlich schmecken nach all dem süssen und salzigen Gel. Ich hoffe ich es gibt auch unten in Alpiglen Wassermelone. Der Sanitätsposten sieht heute ruhiger aus als 2014. Nur ein Läufer liegt mit gesteckter Infusion unter der Wolldecke. Um 20:00 mache ich mich wieder auf den Weg.
Strecke Etappe:       10.0 km
Strecke Total:           77.8 km
Hm Etappe:              +400 m / -650 m
Hm Total:                 +5‘850 m / -4‘750 m
Zeit Etappe :             1:49h (-0:26 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 15:24 h (-1:11 gegenüber 2014)
Ankunft Kleine Scheidegg

Ankunft Kleine Scheidegg

Kleine Scheidegg – Alpiglen / Adventure Trip

Ich habe noch 90 Minuten, bis ich die gemäss Wettkampfregeln die Stirnlampe montieren muss. Ich weiss, dass ich bis zur Station Eigergletscher ca. 45 Minuten benötige und hoffe, dass ich in den restlichen 45 Minuten bis nach Alpiglen komme. Auf der Querpassage rüber zur Gletschermoräne kann ich einer Läuferin aus Karlsruhe anhängen. Wir machen ordentlich Tempo und es macht Spass. Lustig ist, dass wir letztes Jahr den Lauf mit einer Differenz von wenigen Minuten gefinisht haben. Ich bemerke, dass wir heute eine viel bessere Zeit laufen würden und sie ist da noch sehr skeptisch. Wie recht sie doch haben wird. Ich sehe die dunklen Wolken am Horizont noch nicht. – Das heisst die schwarzen Regenwolken hinten im Lauterbrunnental sehe ich schon, aber ich sehe darin kein Problem. Sollen die dort doch abregnen. Mich werden sie nicht mehr aufhalten.
Auf der Möräne

Auf der Möräne

Rauf auf die Moräne lasse ich die Karlsruherin ziehen und achte wieder auf die Pulsuhr und meinen Rhythmus. Da sie öfters stehen bleibt und Fotos macht, schlussendlich von einem Rudel Steinböcke völlig geflasht ist, überhole ich sie dann wieder. Die Steinbockkolonie ist schön anzuschauen, ich mache das aber im marschieren. Ich will weiter! Gegenüber dem Sturm vom letzten Jahr ist es heute auf der Moräne richtig gemütlich. Von hinten nähert sich der Regen und es blitzt auch in der Ferne ab und zu. Ich denke aber, wenn ich auf wieder auf die Grindelwaldner-Seite komme, kann ich dem Regen entfliehen. Ganz am Ende der Moräne überhole ich noch einen älteren Läufer. Dann Station Eigergletscher und ab auf den Eigertrail.
Es ist 20:45, genau nach Plan. Der Wegweiser zeigt 2h bis Alpiglen. Wanderzeit halbieren reicht also jetzt nicht mehr, um ohne Stirnlampe nach Alpiglen zu kommen. Ich grüsse noch die Sanitäter und Sicherheitsposten bei der Station Eigergletscher und stürze mich dann in den Downhill. Der Eiger Trail ist im oberen Teil viel besser laufbar, als ich in Erinnerung habe und zudem wie mit Besen gereinigt. Die Schneefelder, welche vor 4 Wochen hier noch allgegenwärtig waren, sind alle weggeschmolzen. Ich gebe Gas und schaue ständig auf die Uhr. Ich spüre nun auf einmal, wie von hinten wirklich ein Gewitter aufzieht. Das Donnergrollen wird lauter und ab und zu blitzt es. Ich hoffe immer noch, dass sich das Gewitter hinter dem Eiger abreagiert und ich unter dem Schutz der Eiger-Nordwand stehe.
Das Gewitter zieht auf

Das Gewitter zieht auf

Um 21:15Uhr sehe ich den stationierten REGA-Heli auf dem Männlichen wegfliegen. Ich nehme an, er nutzt auch noch das letzte Tageslicht, um zurück zur Basis zu fliegen. Alpiglen vor 21:30 zu erreichen ist nicht mehr möglich. Ich will aber die Stirnlampe trotzdem erst um 21:30 gemäss Reglement anziehen. Die Blitze werden nun immer intensiver und ich zähle die Sekunden bis zum Donnergrollen. Es sind momentan ca. 10 Sekunden. Multipliziert mit 300m ergibt das einen Abstand von 3km. Sag ich doch, das ist hinter dem Eiger! – Aber wie lange noch???
Eigernordwand

Eigernordwand

Irgendwie ist es mir jetzt schon nicht mehr so geheuer und ich denke je schneller ich runter nach Alpiglen komme, desto besser. Vor mir sehe ich einen Läufer mit bereits eingeschalteter Stirnlampe. Ich kann zu ihm aufschliessen und zu unserer beiden Freude ist es Oliver, welcher ebenfalls im selben Zimmer schläft wie ich. Ich überlege mir noch, ob ich beim Stirnlampen-Halt auch gleich auf das Langarm-Shirt wechseln will. Ich komme noch zu keinem Schluss, als es zu regnen beginnt. Der Trail wird jetzt technischer und mit dem Regen wird das auch glitschig werden. Zum Glück habe ich sehr viel Vertrauen in die Vibram-Sohle meines Hoka Rapa Nui.
Dann kommt mein Boxenstopp, welcher ein Formel 1-Team taktisch nicht besser machen könnte. Um 21:25 entscheide ich mich, bei einem grossen Steinblock anzuhalten und die Lampe zu montieren. Ich weiss immer noch nicht, ob ich das Shirt wechseln will. Genau als ich den Rucksack ausziehe und auf dem Steinblock deponiere, strätzt der Gewitterregen los. Die Wahl fällt also auf die Regenjacke. Endlich kann ich meine Top-Salomon-Regenjacke mal testen. Wäre heute Nacht aber auch ohne gegangen. Auch Oliver zieht die Regenjacke an und dann geht es weiter. Ich will nur noch runter nach Alpiglen und weiss, dass wir in 15 Minuten dort sein werden. Hinter uns sind keine weiteren Läufer zu erkennen. Es kühlt nun deutlich ab und für einen Moment habe ich das Gefühl, es beginnt gleich zu hageln. Es bleibt glücklicherweise beim Gewitterschauer und mit Blitzlichtgewitter treffen Oliver und ich um 21:47 Uhr in Alpiglen ein. Ich war auf diesem Abschnitt über 30 Minuten schneller als 2014 und es würde momentan eine Endzeit von sicher unter 20h möglich sein.
Strecke Etappe:       8.9 km
Strecke Total:          86.7 km
Hm Etappe:              +300 m / -750 m
Hm Total:                 +6‘150 m / -5‘500 m
Zeit Etappe :             1:53h (-0:32 gegenüber 2014)
Zeit Total:                 17:17 h (-1:43 gegenüber 2014)

Neutralisationphase in Alpiglen

Uns wird mitgeteilt, dass das Rennen momentan neutralisiert ist und alle Läufer an den Posten zurückgehalten werden. Ob, wann und wie es weitergeht, ist noch nicht klar. Oliver und ich sind die letzten Läufer, welche in Alpiglen eintreffen. Ich war der letzte Läufer, welcher bei der Station Eigergletscher durchlaufen konnte. Alle nachfolgenden Läufer und Läuferinnen (meine Karlsruherin), wurden angehalten und mit der Bahn zurück auf die Kleine Scheidegg gebracht.

Melonen hat es leider keine hier. Wir bekommen aber Bouillon, Tee, Schokolade und vor allem Wolldecken. Die Regenjacke hat den Oberkörper trocken gehalten. Rucksack und Hose sind aber völlig durchnässt. Oliver und ich bekommen ganz zuhinterst in der Hütte noch Plätze.

Dieses Gewitter-Erlebnis war sehr eindrücklich und ich bin froh, nun in Sicherheit zu sein. Die Wetterwechsel in den Bergen finden so schnell statt und sind häufig schlecht vorhersehbar. Ich stelle mir vor, wie es wäre bei diesem Wetter in der Eiger Nordwand zu hängen, statt nur unten durch  zu joggen.

Nachdem ich etwas gegessen und getrunken habe, wickle ich mich in die Wolldecke und mache es mir auf dem Boden so bequem wie möglich. Ich schliesse die Augen und döse etwas. Eigentlich wäre Schlafenszeit und nach dem ist mir auch. Körperlich alles soweit in Ordnung. Mental weiss ich nicht so recht, auf was ich noch Lust habe. Am liebsten einfach direkt runter ins Ziel laufen ohne den Abstecher auf die Pfingstegg. Um 22:15 gibt es die nächste Information. Es regnet aber immer noch in Strömen und wir müssen weiter warten.

Neutralisation in Alpiglen

Neutralisation in Alpiglen

Die Möglichkeit wird angeboten, das Rennen nun aufzugeben und mit dem Auto runter zu fahren. So zwei Zehntelsekunden prüfe ich diese Möglichkeit. Nein, wir machen das fertig. Es wird auch so noch ein paar Stunden Schlaf geben diese Nacht. Was ich nicht weiss, wie meine Muskulatur reagieren wird, wenn wir wieder weiterrennen sollen. Dies ist aber ein guter Test im Hinblick auf den Irontrail T201, wo ich wahrscheinlich auch irgendwo ein Nickerchen machen werde. Also heute schon mal Erfahrung sammeln.

Neueste Information von der Rennleitung. Wenn der Regen aufhört, können wir weiterlaufen. Die Passage Pfingstegg wird gestrichen, wir müssen nur zum Marmorbruch und dann direkt ins Ziel. Sehr gut, so hatte ich mir das ja auch schon gewünscht.

Der Körper ist nun zur Ruhe gekommen und ich muss immer besser aufpassen, dass ich nicht zu frieren beginne. Dann nach 23:00 die Info: Um 23:15 Uhr geht es weiter mit einem Massenstart. Also auf, Regenjacke wieder an, Rucksack packen und schon geht es los!

Alpiglen – Marmorbruch – Grindelwald / Endspurt

Alle laufen los wie die Wilden! Es geht nun auf guten Strassen bergab. Meine Muskeln machen ohne Probleme mit und auch den anderen scheint es so zu gehen. Der Regen hat aufgehört und in der Regenjacke wird es schon bald zu warm. Ich habe aber keine Lust, jetzt bereits wieder anzuhalten und die Jacke auszuziehen. Oliver hält und zieht die Jacke aus. Ich werde ihn erst beim Duschen wieder sehen.

Ich kann einige Läufer hinter mir lassen und befinde mich wohl im vorderen Teil dieser Alpiglen-Neutralisations-Gruppe. Als dann die Strecke wieder leicht ansteigt, nutze ich die Marsch-Pace zum ausziehen der Jacke. Ist schon besser so, es gibt nun kein Halten mehr und in der Jacke würde ich überhitzen. Wir jagen in einer Vierergruppe durch den Wald Richtung Gletscherschlucht und Marmorbruch. Über nasse Wurzeln und Felsen geben wir Vollgas. Ich schalte sogar die Pulsuhr wieder ein, damit ich die Belastung etwas kontrollieren kann. Die Gruppe bleibt auf den Single-Trails bis zum Marmorbruch zusammen. Nachher wird es breiter und jeder läuft sein Tempo.

Passage Gletscherschlucht

Passage Gletscherschlucht

Ich hatte mir vorgestellt, nach dem Marmorbruch würde es direkt runter gehen und zurück ins Ziel. Zu meinem Erstaunen werden wir dem Hang entlang weiter ins Tal nach hinten geleitet, bis wir zur Strasse kommen, welche von der Pfingstegg kommt. Eigentlich logisch. Hier sind wir wieder auf der Originalstrecke und nun geht endlich zurück ins Dorf und zum Finish!

Hab ich schon erwähnt, dass meine Fussohlen brennen? – Ist mir jetzt aber egal. Runter zum Bach, über die Brücke, durch den Campingplatz, weiter Richtung Grund bis zum Abzweiger für den letzten kurzen aber giftigen Aufstieg ins Dorf. Ich kann alles rennen und will einfach, dass mich niemand mehr überholt! Vom Männlichen her kommt die Läuferkarawane mit Stirnlampen. Schön anzuschauen, aber natürlich schade, dass diese Läufer nicht die ganze Strecke absolvieren konnten.

Im Aufstieg ins Dorf keuche nun auch ich wie eine Dampflok. Dann bin ich oben bei der Dorfstrasse. Noch wenige hundert Meter. Pure Freude! Es hat auch jetzt um 00:40 Uhr noch einige Leute unterwegs, welche auf ihre Läuferin oder ihren Läufer warten. Den Applaus dieser Leute nimmt man gerne entgegen! Runter zum Sportzentrum und dann über die Holzbrücke ins Eventgelände. Die steile Rampe runter und über die Ziellienie! Sensationell! Pure Freude!

Strecke Etappe:       ca. 9 km
Strecke Total:           ca. 96 km
Hm Etappe:              ca. +265 m / -915 m
Hm Total:                 ca. +6‘400 m / -6‘400 m
Zeit Etappe :             1:23 h
Zeit Total:                 18:40 h (effektive Laufzeit mit abgezogener Neutralisationszeit)
Finish

Finish

Fazit Eiger Ultra Trail E101 2015

Ich denke je länger, desto mehr, dass man Ultras vor allem durch Geduld, Disziplin und Erfahrung erfolgreich und stressfrei finisht. Es ist diesmal genau nach Plan gelaufen. Das Gewitter hätte es nicht gebraucht, für mich sind aber auch diese Erfahrungen wertvoll im Hinblick auf die Zukunft. Die Ausrüstung hat sehr gut funktioniert. Das Verpflegungskonzept ebenfalls. Klar ist so ein Lauf anstrengend. Ich konnte aber die ganze Strecke geniessen und hatte nie das Gefühl, meine Reserven antasten zu müssen.
Der Tag danach:
Beschwerden machen die Fusssohlen, das wird auch noch 2-3 Tage so bleiben. Muskelkater habe ich nur an den Oberarmen (Trizeps). Zu wenig mit den Stöcken trainiert! Treppenlaufen ist gar kein Problem. Die Ausrüstung ist retabliert und wartet auf den Einsatz am Irontrail in vier Wochen!



15 Kommentare zu Eiger Ultra Trail E101 2015 – Die Lehren gezogen

  1. Wicki Pius 20. Juli 2015 um 20:30 #

    Salut Martin
    Gratulation zu dieser Leistung und wünsche gute Erholung und viel Power für den Irontrail. Der Laufbericht ist wie immer spannend wie ein Krimi. Man fühlt sich mittendrin.

    Gruss

    pius

    • Martin Hochuli 21. Juli 2015 um 7:43 #

      Danke Pius!

      Der E51 wäre was für dich! Würde sicher mehr Spass machen als der Jungfrau-Marathon. 🙂

      Gruess, Martin

  2. felix grendelmeier 21. Juli 2015 um 10:27 #

    lieber martin,

    mit grosser freude lese ich immer deine berichte. ich gratuliere dir zu deiner hammer leistung und wünsche dir auch bei zukünftigen rennen viel freude und erfüllung.

    grüessli
    felix

    • Martin Hochuli 21. Juli 2015 um 21:43 #

      Danke, Felix!

  3. Heinz 21. Juli 2015 um 15:25 #

    Hoi Martin

    Gratulation zu Deinem Finish. Ich habe mir während des Rennens einen Spruch bereit gehabt, dass wenn Du mich überholen solltest, das auf jeden Fall Dein Ende wäre – ganz im Sinne des letzten Jahres und Vodoo-Girl 🙂
    Habe mit Freude Deinen Bericht gelesen….wir waren immer ganz ähnlich unterwegs….ich war immer ein bisschen vor Dir, ausser nach Grindelwald – da hatte ich nach 2 Stunden Unterbrechung vollkommen die Motivation verloren und bin seeeehr gemütlich ins Ziel gelaufen 🙂
    Wir waren sogar in der gleichen Hütte in Alpiglen, habe Dich aber nicht gesehen, war ca. 1/2 Stunde vor Dir dort.
    Gute Erholung und bis bald
    Heinz

    • Martin Hochuli 21. Juli 2015 um 21:44 #

      Nächstes Mal geb ich Gas und hole Dich wieder ein! – No voodoo girl, no cramps!

  4. Stephanie Seppmann 22. Juli 2015 um 15:04 #

    Hallo an den spannenden Berichteschreiber und herzlichen Glückwunsch zu dem persönlichen Erfolg. Wahnsinnig spannender Bericht. Viel Spass beim nächsten Lauf.

    Steffi

    • Martin Hochuli 22. Juli 2015 um 20:21 #

      Danke Steffi!
      Falls ich das nächste Mal Muskelkater habe, komme ich in die Massage! 🙂

  5. Matthias 23. Juli 2015 um 12:55 #

    Hi Martin, Gratulation zu deiner Leistung, du bringst immer mega spannende Laufberichte, macht richtig Spass sie zu lesen.

    Wünsche dir viel Spass bei den nächsten Läufen und bis bald

    Lg Matthias

    • Martin Hochuli 23. Juli 2015 um 13:04 #

      Danke Matthias!
      Die Berichte werden spannender, wenn es nicht so rund läuft. Beim Eiger Ultra lief es von dieser Seite betrachtet fast zu rund. – Ich denke da wird der Irontrail T201 wieder mehr Dramatik bringen.
      Gruess, Martin

  6. Stefan Zweifel 24. Juli 2015 um 22:19 #

    Hallo Tinu
    wollte heute mal früh ins Bett und bin in Deinen superspannenden Laufberichten hängengeblieben. Grossartige Leistungen die Du da vollbringst. (Läuferisch sowie schreiberisch) Herzliche Gratulation und viel Ausdauer und Biss für die nächsten Ultras. Werde ab nächster Woche mein Training auch wieder aufnehmen. Habe es etwas schleifen lassen während der letzten Zeit. (Umbau, Geburt u.s.w) Liebe Grüsse aus Schänis

    • Martin Hochuli 25. Juli 2015 um 7:47 #

      Danke vielmol Steff! – Nächscht Johr mache mir wieder mol zäme so es Ding.

  7. Roger Kälin 25. Juli 2015 um 9:59 #

    Hallo Martin
    Ganz herzliche Gratulation zu deinem super Finish. Der Bericht liest sich toll und ich habe richtig mit dir mitgefiebert. Was die Bouillon betrifft: „Die von Sponser ist wirklich lecker, habe ich am Gigathlon selber proviert“ 😉
    Erhol dich ganz gut von den Strapazen und dann schon bald wieder viel Spass beim Training.
    See you soon
    Roger

  8. Andi 25. Oktober 2016 um 14:18 #

    Hoi Martin
    Sehr cool deine Rennberichte zu lesen. Nimmst du jeweils eigene Gels mit oder am Verpflegungsposten ein paar einpacken für unterwegs?
    Rein aus Gwunder, 160BPM sind bei dir wieviel Hfmax?

    • Martin Hochuli 25. Oktober 2016 um 15:25 #

      Hallo Andi

      Gels: Ich nehme jeweils eigene mit (Lee Sport oder Winforce) und je nach Situation nehme ich bei den Verpflegungsposten auch noch welche.

      HF: Maximale HF dürfte bei mir so bei 196 liegen. Dann sind 160 etwa 80%.

      Herzliche Grüsse
      Martin