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Eiger Ultra Trail 2014

Vorbereitung – Eiger Ultra Trail 2014

Ich war mir schon bewusst, dass ich bei diesem Lauf, betreffend Dauer und Anforderungen, Neuland  betreten würde. Andererseits habe ich nie gezweifelt, dass ich die Herausforderung erfolgreich bewältigen könnte. Ich war davon ausgegangen, dass ich zwischen 20 und 24 Stunden benötigen würde.
Da unsere Jungs bei Omi und Neni in den Ferien waren, nutzten Silvia und ich die Gelegenheit für einen Kurzurlaub zu Zweit. Am Dienstag Nachmittag sind wir also bereits nach Grindelwald angereist. Die steilen Berghänge haben mich ziemlich beeindruckt. Bei der Durchfahrt in Burglauenen war mir zwar gleich klar, wo ich die Hauptstrasse überqueren würde, der Weg vom Berg runter und auf der anderen Seite wieder rauf, konnte ich mir aber nicht vorstellen. Das sah beidseitig so unpassierbar aus.
Mittwoch und Donnerstag waren dann gemütlich und wir haben sogar das letzte Streckenstück auf die Pfingstegg abgewandert. Irgendwie habe ich in dieser Phase etwas den Respekt verloren. Ich hab mir einen Zeitplan gemacht und wollte vor Mitternacht, das heisst nach spätestens 19.5 Stunden im Ziel sein. Für mich war alles klar und die einzige Sorge, ob es am Samstag Abend ein Gewitter geben würde – Wie kann man nur so naiv sein?
Streckenerkundung mit Silvia (Gletscherschlucht)
Am Freitag Morgen haben wir dann die Startnummer abgeholt und die Ausrüstung kontrollieren lassen. Ich habe mir noch Sponsor-Energie-Gels gekauft um den Geschmack und die Verträglichkeit zu testen. Eigentlich wollte ich diese Gels nicht nutzen und mich mit meinen eigenen Powerbar-Gels verpflegen. Gemäss meiner Erfahrung, hatte ich bis jetzt sowieso immer zu viel Verpflegung dabei. (Wenn man Neuland betritt, können sich Erfahrungen ändern!). Bis zum Briefing um 19:30 Uhr war dann relaxen im Schatten angesagt. Beim Briefing nicht viel Neues. Die Wetterprognose verspricht einen heissen Tag. Gewitter sind nicht ausgeschlossen, es herrscht aber vorsichtiger Optimismus. Nach dem Briefing gibt noch ein Mehrgang-Menü im Hotel, bevor es endlich ins Bett geht. – An Schlaf ist natürlich nicht zu denken. Typische Wettkampf-Nervosität.
Um 3:00 Uhr geht der Wecker und ich stehe erstaunlich gut auf. Alles liegt bereit und ich tape die neuralgischen Stellen, ziehe mich an, verabschiede mich von Silvia und mache mich auf den Weg zum Start. – Trotz frühen Morgenstunden ist es schon sehr warm und ich merke, dass das Kurzarm-Tenü völlig ausreicht. Ich gebe meinen Drop-Bag für Burglauenen ab und drücke mir zum Frühstück den ersten Gel rein. Auf die gekauften Brötchen und den Comella-Drink habe ich keine Lust.
Höhenprofil

Alles easy – (Start – Grosse Scheidegg)

Ich stelle mich rechtzeitig in die Startbox und reihe mich so im hintersten Drittel ein. Die letzten Minuten vor dem Startschuss um 4:30 Uhr sind dann sehr emotional für mich. Die EUT-Hymne wird gespielt und vor mir verabschiedet sich eine junge Mutter mit dem Säugling von ihrem Mann/Vater. So lange hatte ich mich auf diesen Moment vorbereitet, nun war es endlich soweit. Mir kommen fast die Tränen vor Rührung. – Dann geht es los. Ganz ohne Hektik, alle (zumindest hinten im Feld) haben ganz viel Zeit. Ausgangs Dorf schalte ich meine Stirnlampe an, bald geht es auf Singletrails und das ganze Feld läuft in Einerkolonne. Bei einer engen Brücke gibt es einen Stau, da dies am Briefing angekündigt wurde, nehmen es alle locker. Als der Weg breiter wird, kann ich zu Martin Zwahlen aufschliessen. Er hat einen Startplatz am Ultra Trail Mont Blanc 2014 und nutzt den EUT als Vorbereitungstraining. Wir unterhalten uns ein wenig und fotografieren uns gegenseitig mit Eiger-Hintergrund auf der Grossen Scheidegg.
Grosse Scheidegg im Gegenlicht der aufgehenden Sonne
Strecke Etappe:       7.7 km
StreckeTotal:           7.7 km
Hm Etappe:             +1‘100 m / -150 m
Hm Total:                 +1‘100 m / -150 m
Zeit Etappe :             1:45 h
Zeit Total:                 1:45 h

Immer noch alles easy – (Grosse Scheidegg – First – Bort – First)

Die Verpflegung ist gut organisiert und trotz „Rudelbildung“ geht es effizient. Im Osten geht gerade die Sonne auf und ich freue mich auf das recht flache Stück rüber zur First. Endlich sind ein paar Meter im Laufschritt möglich. Ich versuche regelmässig und genügend zu trinken und so alle 45 Minuten einen Gel zu konsumieren. Die Stirnlampe habe ich inzwischen gegen die Sonnenbrille getauscht.
Die First erreiche ich genau nach meinem Zeitplan nach 2:30h. Jetzt kommt der erste steile Downhill nach Bort (-650m). Der geht schon mal in die Muskeln und gibt eine Ahnung, was noch kommen soll. In Bort fülle ich die Flaschen wieder und mache gleich noch eine Pinkelpause, da es dort ein offizielles WC hat. Dann gleich wieder in den Uphill-Modus wechseln und wieder hoch zur First. Jetzt ist das Feld schon ziemlich aufgelöst und ich muss mein eigenes Tempo finden. Ich orientiere mich an der Pulsuhr und bleibe stets leicht unter 170 BPM. Im Nachhinein würde ich sagen, da hätte ich es vielleicht etwas langsamer angehen sollen. Jedenfalls bin ich immer noch perfekt in meinem Zeitplan, als ich zum zweiten Mal auf der First stehe. Flaschen füllen und weiter.
Strecke Etappe:       15.0 km
Strecke Total:          22.7 km
Hm Etappe:              +950 m / -750 m
Hm Total:                 +2‘050 m / -900 m
Zeit Etappe :             2:10 h
Zeit Total:                 3:55 h

Voll im Plan – (First – Faulhorn)

Es folgt ein eher einfaches Teilstück mit leichten Auf- und Abstiegen bis zum nächsten Verpflegungsposten bei der Oberläger Bussalp. Malerisch ist die Passage am Bachsee. Hier hat es nun einige Wanderer auf der Strecke, die Wege sind aber breit und die Passage deshalb kein Problem. Hier werde ich von den ersten E51-Läufern überholt. Die sind zwar 2.5h später gestartet, mussten aber die Schlaufe nach Bort nicht laufen. Bei mir alles im grünen Bereich. Ich geniesse den Lauf und den Tag.
Am Bachalpsee
Auf der Oberläger Bussalp fülle ich beide Flaschen voll auf, da es auf dem Faulhorn kein Wasser zum mitnehmen gibt. Dann geht es in den 650m-Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke. Mein Plan war um 11:00Uhr auf dem Faulhorn zu sein. Datasport stoppt mich dort um 10:50Uhr. Perfekt! Höchster Punkt erreicht! Das Leben ist schön! Zur Feier gibt es zwei Becher Cola und ein Stück Brot.
Faulhorn in Sicht
Mein Plan sieht nun den Abstieg bis nach Burglauenen (2100m auf knapp 20km) in rund zwei Stunden vor.
Strecke Etappe:       10.4 km
Strecke Total:           33.1 km
Hm Etappe:              +1000 m / -500 m
Hm Total:                 +3‘050 m / -1‘400 m
Zeit Etappe :             2:25 h
Zeit Total:                 6:20 h

Der Plan löst sich auf – (Faulhorn – Schynige Platte)

Landschaftlich ist nun besonders schön, da man links das Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau hat, und rechts den Thuner- und den Brienzersee. Es gäbe also viel zu sehen, müsste man sich nicht auf die nun teilweise ziemlich tricky Wege konzentrieren. Zudem hat es viele Überholer (E51) und viele Wanderer. Die Wege sind eng und es hat viele Steine, Stufen, Geröll etc.. Ich hänge mich an eine Läuferin, welche den linken Unterarm anscheinend gebrochen hat. Ihre Pace passt perfekt für mich, und ich bewundere, dass sie das ohne Stöcke läuft. Ich nehme diese praktisch jeden Meter zu Hilfe.
Blick auf Interlaken und Thunersee
Langsam werden die Beine etwas müder und ich überlege mir, wie viel Gas ich hier geben darf, damit ich mich nicht zu sehr verausgabe oder einen Misstritt machen könnte. Kurz vor der kleinen Verpflegungsstation Egg, stürzt meine Pacemakerin und ich mache mir Sorge, dass sie das Rennen aufgeben muss. (Sie überholt mich dann 4km vor dem Ziel wieder, die Sorge war also zum Glück unbegründet. Unglaublich mit gebrochenem Arm).
Der Blick auf die Uhr lässt meinen Zeitplan zur Makulatur werden. Silvia wartet in Burglauenen auf mich, muss aber dort um 13:27 Uhr den Zug nach Hause nehmen. Ich wollte um 13:00 Uhr dort sein. Nun ist es 12:45 Uhr und ich bin noch nicht mal auf der Schynigen Platte. – Ironie des Schicksals: Ich bin genau bei der Marathon-Distanz. Ab hier beginnt der Ultra-Marathon. Und hier habe ich meine erste mentale Krise. Irgendwie dämmert mir, dass der Tag noch lange ist und die Nacht noch viel länger werden könnte.
Während ich bei den vorhergehenden Verpflegungsposten jeweils möglichst rasch weiter gezogen bin, nehme ich mir hier auf der Schynigen Platte Zeit. Ich telefoniere kurz mit Silvia und sage ihr, sie solle nicht auf mich warten. Das macht mich etwas traurig, da sie mich zum ersten Mal live während eins Laufes gesehen hätte. Dann trinken und essen (Pommes Chipes) und etwas absitzen. Ich habe das Gefühl, auch bei anderen Läufern hat das Leiden inzwischen eingesetzt. Als ich nicht mehr essen und trinken mag, muss ich wohl oder übel weiter. Mit Sitzen alleine gewinnt man kein Finisher-Shirt.
Strecke Etappe:       10.9 km
Strecke Total:          44.0 km
Hm Etappe:              +250 m / -800 m
Hm Total:                 +3‘300 m / -2‘200 m
Zeit Etappe :             2:10 h
Zeit Total:                 8:30 h

Jetzt wird es hart – (Schynige Platte – Burglauenen)

Ich hänge mich hinter ein Lauf-Paar mit Basler-Dialekt. Pace ist tiptop in diesem langen und steilen Downhill. Die beiden laufen extrem locker und plappern dauernd etwas zusammen. Mir ist das plappern vergangen und ich konzentrier mich einfach drauf, keinen Misstritt zu machen. Meine Stimmung ist immer noch gedrückt obwohl es mir körperlich eigentlich sehr gut geht. Die Füsse machen keine Beschwerden, Muskeln sind okay, sonst keine Schmerzen (Knie, Hüfte, Rumpf, Schultern, oä.). – Was jammere ich mir eigentlich innerlich eins vor???
Der Abstieg ist aber einfach nur steil und technisch anspruchsvoll. Zwischendrin gibt es dann auch noch einen giftigen kurzen Gegenanstieg und Burglauenen will einfach nicht näher kommen. Trotzdem wird die Wand auf der gegenüberliegenden Talseite immer höher. Da müssen wir nachher rauf!
Irgendwann überhole ich dann „Team Basel“ und was nun folgt, wird sich auf den nächsten 25km mehrmals wiederholen. Sobald ich vorne liege, bekomme ich Krämpfe und komme nicht mehr richtig vorwärts. Die beiden überholen wieder und mir geht es wieder besser. Ich vermute einen Voodoo-Zauber und die nette Dame bekommt auf dem Lauberhorn offiziell den Übernamen „Voodoo-Girl“.
„Halbzeitpause“ in Burglauenen nach 10 Stunden
Dann um 14:25 Uhr laufe ich doch noch in Burglauenen ein. Silvia ist schon eine Stunde weg und ich weiss nicht recht, was ich mit mir anfangen soll. Ich deponiere Rucksack und Stöcke und hole mir mal ein Stück Wassermelone. Dann hole ich mir meinen Dropbag und schaue mal was ich davon brauchen kann:
-Energie-Gels: sofort alle in den Laufrucksack umladen
-Knoppers: eines essen, die restlichen bleiben im Dropbag (mag nicht essen)
-Ersatz-Laufshirt: wechsle ich, damit ich etwas zu tun habe
-Sonnencrème: brauch ich nicht. Der Himmel ist leicht bedeckt und ich bin eh so dreckig, dass die Sonne nicht mehr auf die Haut kommt.
Ich nutze die Gelegenheit und mache noch einen Halt auf dem Toitoi. Dann finde ich keinen Zeitvertreib mehr und muss wohl oder übel weiter. (Hab ich schon erwähnt, dass man mit Sitzen kein Finisher-Shirt gewinnt?)
Strecke Etappe:       8.5 km
Strecke Total:          52.5 km
Hm Etappe:              +150 m / -130 m
Hm Total:                 +3‘450 m / -3‘500 m
Zeit Etappe :             1:25 h
Zeit Total:                 9:55 h

Und noch härter – (Burglauenen – Wengen)

Für mich verändert sich nun die Charakteristik des Rennens. Die E51-Läufer laufen nun durchs Tal direkt nach Grindelwald zurück. Wir E101-Läufer machen uns alleine wieder auf den Weg in die Höhe. Es gibt für uns keine Hektik mehr. Jeder läuft nun nur noch für und gegen sich.
Perfektes Timing von mir (ironisch). Als ich den Verpflegungsposten verlasse, senkt sich am Bahnübergang die Barriere. Der Sicherheitsposten fordert mich aber auf, noch drüber zu gehen, da der Zug noch weit weg sei. Danke! Gleich eine Minute eingespart!
Es folgen nun 750m Austieg, wo es eigentlich gar keinen Weg geben kann. Das Highlight ist eine Passage auf einem Gitterrost, welcher an eine Felswand befestigt ist. Nur Rost, Fixseil und Abgrund! – Nun kommen die Krämpfe bereits im Aufstieg. Manchmal verhärten sich die Waden, dann wieder die Oberschenkel. Ich mache kurze Pausen und zwinge mich dann, jeweils einen Gel runter zu spühlen. Favorit sind nun die salzigen Gels, welche leider nicht so toll schmecken.
Aufstieg
Das Problem bei solchen Ultra-Geschichten ist die Energieversorgung. Entweder der Magen ist voll und du hast Energie, dafür ständig einen leichten Brechreiz, oder der Magen fühlt ich gut an, da leer, dafür aber keine Power in den Beinen. Dilemma! – Essen mag man natürlich auch nicht mehr wirklich, wenn es einem immer leicht Übel ist oder wird. – Zum Glück wurden wir von unseren Müttern in der Kindheit darauf konditioniert, dass Cola bei Übelkeit das Beste ist. So ist dann die schwarze Medizin das Verpflegungsposten-Highlight und hat schon manchen Ultra-Läufer gerettet. Und während der immense Zuckergehalt beim Genuss vor dem TV nur fett und träge macht, gibt er dem Läufer die Energie um noch ein Stückchen weiter zu kommen! Danke Cola, danke Mama!
Irgendwann überholt mich dann „Voodoo-Girl“ und es bessert mit den Krämpfen. Auch dieser Aufstieg ist einmal zu Ende und wird natürlich nahtlos von einem Abstieg abgelöst. Unglaublich, wir steigen nun 400m nach Wengen ab, trinken 2 Becher Cola und steigen dann wieder 1000m auf den Männlichen hoch! – (Wenn ich mir das während dem Rennen überlegt hätte, wär das wohl das Ende gewesen.)
In Wengen dann die Gewissheit. Urs Jenzer hat das Rennen inzwischen gewonnen. Der Sieg liegt für mich nicht mehr drin. J – Mein eigentliches aktuelles Problem ist aber die 1000m-Wand zwischen Wengen und dem Männlichen. Mein Trost: Wenn ich da rauf komme, sind zum einen die Chancen auf den Finish schon ziemlich gut. Zum Anderen gäbe es von dort eine direkte Bahn nach Grindelwald. Fazit: Ich muss da rauf!
Strecke Etappe:       8.8 km
Strecke Total:          61.3 km
Hm Etappe:              +750 m / -400 m
Hm Total:                 +4‘200 m / -3‘900 m
Zeit Etappe :             2:30 h
Zeit Total:                12:25 h

„Die 1000-Meter-Wand“ – (Wengen – Männlichen)

Ich packe meine Stöcke wieder und watschle los. Was denkt man sich in so einer Situation?
1.) Druck wegnehmen. Wenn ich ausgeruht wäre, würde ich den Aufstieg in rund 1.5h bewältigen. Ich muss das aber nun nicht schaffen. Es ist jetzt 17:10 Uhr. Um 20:00 Uhr will ich da oben sein. Ich habe alle Zeit der Welt!
2.) Ich kann stolz sein. Mein längster Lauf bis jetzt waren die 100km von Biel mit 10:37h. Jetzt bin ich schon über 12 Stunden unterwegs und bewege mich immer noch vorwärts. Ich erweitere meine Komfortzone. (Fürs Protokoll: Ich erweitere nicht meine Komfortzone, sondern verschiebe lediglich meine Grenzen. Mit Komfort hat das definitiv noch nichts zu tun!)
Dort oben ist der Männlichen. Es sind nur noch 1000m. Allerdings vertikal gestapelt!
Ich glaube Ultra-Lauf hat mehr mit Erfahrung als mit schierem Willen zu tun. Nach einer Stunde Aufstieg sind nämlich die Krampferscheinungen nichts Neues mehr und ich weiss, dass ich trotzdem weiterlaufen kann. Pause machen, Gel spühlen, weiter! Auch den anderen Läufern geht es etwa ähnlich. Man überholt, pausiert, wird überholt, überholt wieder, ….
Nicht nur ich habe Mühe, auch meine Garmin Fenix hat sich inzwischen aufgehängt. 50 Stunden sollte diese laufen, jetzt ist sie eher tot als ich. Die 80 Franken Pulsuhr läuft wenigstens noch. Und Freude macht mir mein Iphone. Wenn man Standortdienste, Mobile Daten, WLAN und Blootooht auschaltet, dann kann das Ding zwar nicht mehr viel mehr als ein Nokia 3310, dafür hält der Akku wohl eine Woche durch! Und für ein paar Fotos reicht es auch noch.
In den Lawinenverbauungen
Wettertechnisch macht es nun etwas zu. Im Westen sehe ich bereits Wolken die sich ausregnen. Ich glaube das grosse Gewitter wird ausbleiben, aber nass könnte es werden. Der OK-Präsident Ralph Näf steht nicht etwa an der Ziellinie in Grindelwald. Er hat sich mit einem Metorologen in den Lawinenverbauungen am Männlichen platziert, wo sie die Wetterentwicklung am Besten beobachten und allfällige Massnahmen ergreifen können. Ein Chef der dort steht, wo im wahrsten Sinne die Kanonen donnern. – Der Donner bleibt dann aber aus, ein erfrischender Regen setzt für 10 Minuten ein, und als dieser vorüber ist, stehe ich auf dem Männlichen. Eine Stunde und fünfundfünfzig Minuten. Ich war viel schneller als ich für möglich gehalten hätte! – Strike!
In der Verpflegungszone wird gerade die Postenchefin vom Schweizer Fernsehen gefilmt. Sie nimmt mich gleich in Beschlag und will wissen, ob ich Wasser auffüllen will. Ich bin ob der Fürsorge völlig überfordert und meine sie ist eine Ärztin, welche mich aus dem Rennen nehmen will. Es ist aber alles in Ordnung und ich will einfach etwas Ruhe. Ein freudiges Wiedersehen mit Team „Voodoo-Girl“, dann Cola, dann Gel bunkern, dann Flaschen füllen, dann weiter. (Dummerweise vor Team „Voodoo-Girl“)
Strecke Etappe:       6.5 km
Strecke Total:          67.8 km
Hm Etappe:              +1‘250 m / -200 m
Hm Total:                 +5‘450 m / -4‘100 m
Zeit Etappe :             1:55 h
Zeit Total:                 14:20 h

Aufgabe und Comeback – (Männlichen – Kleine Scheidegg)

Jetzt käme die Strecke zum Tempo machen. Schöne breite Strasse, leicht abfallend Richtung Kleine Scheidegg. Leider macht meine Muskulatur keinen Laufschritt mehr mit. Mein Ziel, noch bei Tageslicht über die Lauberhornschulter kommen und den Hundschopf sehen. Eile mit Weile ist angesagt.
Bei der Überquerung eines kleinen Bachs passiert es dann. Ich stolpere beim balancieren über die Steine und augenblicklich habe ich brutale Krämpfe in beiden Beinen! Insbesondere der linke Oberschenkelmuskel hinten macht komplett zu. Schmerz und Lähmung! Ich humple an den Wegrand und setze mich ans Bort. Sinnkrise! – Der nächste Läufer fragt mich, was ich habe. „Krämpfe“- „Hast Du was dabei zum nehmen?“ – „Nein“ (War ja auch nicht abzusehen, dass ich Krämpfe bekommen könnte) – „Hier, ich hab das schnellst wirkende Magnesium dabei. Nimm gleich drei Portionen“ – „Danke“ – „Das wirkt am schnellsten! Jetzt wirst du natürlich nichts merken, aber in zwei Stunden spürst du die Wirkung bereits. Tschüss!“
Toll! In zwei Stunden ist alles wieder gut! Also alles kein Problem! – Wieso mache ich das? Wegen den Quali-Punkten für den UTMB? Wieso will ich denn an den UTMB, wenn ich nicht mal den EUT schaffe? – Jetzt ist ein klarer Entschluss gefordert: „Ich gebe auf. Ich schlepp mich zur Kleinen Scheidegg und nehme die Bahn nach Grindelwald. Dann ins Auto und ab nach Hause. Jetzt ist vor 20:00 Uhr, vor Mitternacht kann ich also zu Hause sein!“
Mein innerer Film läuft weiter: „Wie erkläre ich Silvia um Mitternacht zu Hause, dass es nicht geschafft habe, wenn der Zielschluss erst um 8:30 Uhr ist und ich es aber selber bis nach Hause geschafft habe?“ – Dilemma. – Okay, ich geb auf, aber nicht kampflos. Ich mache weiter, bis ich eine Cutoff-Zeit verpasse. Das ist heldenhafter.
Wie bekomme ich nun den Krampf im Oberschenkel los? (Ausser durch 2 Stunden warten?) – Ich muss ihn ja gar nicht loswerden. Gehen kann ich zwar so nicht mehr, aber humpeln geht ja noch. Das ist dann aber so mühsam, dass es sogar dem Krampf zu viel wird und nach 30 Metern löst er sich und es geht wieder im Marschtempo weiter. Unglaublich! Wieder eine Erfahrung reicher.
Dann weist ein freundlicher Mann von der Bergwacht den Weg zur Lauberhornschulter. Wie viel Aufstieg? Ist mir egal, ich werde es schaffen. Bergauf bin ich nämlich auch gar nicht mehr langsam. Team „Voodoo-Girl“ überholt mich (zum letzten Mal), wir laufen gemeinsam aufwärts und die Welt ist wieder in Ordnung. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu, eine malerische Stimmung will aufkommen, da wummt uns ein satter Bass entgegen. Ein paar Jungs feiern Technoparty beim Lauberhorn-Starthaus. Aufstieg geschafft und gleich wieder Abstieg. Würde im Winter mit den Skiern sicher mehr Spass machen. Russi-Sprung, nachher Hundschopf. Ein Bergwacht-Mann macht ein Foto von mir an dieser Stelle. Dann Abstieg auf die Wengener-Alp, dann gleich wieder sanfter Aufstieg zur Kleinen Scheidegg. Die Pulsgurt hat keine Batterie mehr und die Pulsanzeige bleibt leer. Das stört mich nicht mehr heftig, schade finde ich aber, dass der Kalorienzähler auch nicht mehr läuft. Er ist bei ungefähr 14‘000 stehengeblieben. Geile Zahl! Wie viele BigMacs sind das?
Hundschopf-Selfie
Vor der nächsten Etappe zum Eigergletscher habe ich Respekt. Deshalb bin ich froh, dass der Verpflegungsposten hier im Bahndepot drinnen ist. Jetzt gilt es die „Nachtkampftauglichkeit“ zu erstellen (Stirnlampe, lange Ärmel). Im Depot riecht es nach Öl bzw. Panzerhalle. Sonst ist es aber gemütlich. Ich erschrecke aber ob der Bilder. Einige Läufer sitzen wie tote Fliegen auf den Stühlen. Die Sanitätsprischen sind alle belegt mit Läufern, welche Infusionen stecken haben. Die Massageliegen sind ausgebucht. „Voodoo-Girl“ muss sich leider auch behandeln lassen, da der Rucksack ihr den Rücken wundgescheuert hat.
Ich merke, dass ich nicht der einzige bin, welcher leidet. Das gibt mir Auftrieb. Ich schnappe mir einen Stuhl, trinke einen Becher Cola, grabble die Stirnlampe aus dem Rucksack, schnappe mir zwei Gels und mache mich dann wieder auf den Weg. Warten bringt nichts. (Mit Sitzen holt man ….. -Shirt!)
Food-Station „Kleine Scheidegg“
Strecke Etappe:       10.0 km
Strecke Total:           77.8 km
Hm Etappe:              +400 m / -650 m
Hm Total:                 +5‘850 m / -4‘750 m
Zeit Etappe :             2:15 h
Zeit Total:                 16:35 h

Adventure-Trip – (Kleine Scheidegg – Alpiglen)

Es ist nach 21:00 als ich mich auf die Querung rüber zur Eigergletscher-Moräne mache. Das Tageslicht schwindet und ich schalte die Stirnlampe ein, wie es sowieso gemäss Reglement zu dieser Zeit obligatorisch ist. Drei Franzosen überholen mich, sind dann aber auch nicht mehr viel schneller, als es aufwärts geht. Sensationellerweise bemerke ich nun auf einmal, dass die Krämpfe nun weg sind. Das Zaubermittel (Doppelherz aktiv) wirkt tatsächlich! Nun wird mich nichts mehr aufhalten. Ich beginne wieder mit dem Rechnen. Ich kann es unter 24h schaffen!
Es herrscht nun ein böiger Sturmwind und fegt mich einmal fast von der Moräne. Am Jungfrau-Marathon steht hier der legendäre Dudelsackspieler. Heute pfeift nur der Wind für mich. Vorne die drei Lampen der Franzosen, hinter mir zwei weitere Lampen, oben an der Station Eigergletscher zwei Bergwacht-Leute. Ziemlich einsame Sache hier oben heute Nacht.
Sobald ich auf der anderen Seite der Krete bin, hört der Wind schlagartig auf und es wird wieder so warm, dass ich die langen Ärmlinge nach vorne schiebe. Jetzt bin ich direkt am Fuss der Eigernordwand und komme auf den Eiger-Trail, welcher mich hinunter nach Alpiglen führt. Der Weg ist gut, aber in der Nacht und bei der aktuellen Erschöpfung will ich keine Verletzung riskieren und gehe den Abstieg vorsichtig an. Sensationell ist die Streckenmarkierung auch bei Nacht. Dank Leuchtspray und Glowsticks kann man die Strecke nicht verfehlen. Auch stehen an den neuralgischen Punkten Bergwacht-Leute und ich fühle mich sehr sicher auf der Strecke.
Nächtlicher Abstieg
Über mir sehe ich ein Licht in der Station Eigerwand. Anhand diesem kann ich meinen Fortschritt beim Abstieg am besten beobachten. Es wandert immer höher über mich. Dann tauchen unter mir Lichter auf. Ich frage den nächsten Bergwacht-mann, ob dies Alpiglen ist. Er bejaht und meint ich brauche noch ca. 20 Minuten bis dahin. Im Dunkeln lauert dann auch noch ein Fotograf. Die Leute auf den Posten sind nicht zu beneiden. Ich werde bald in Grindelwald sein, sie müssen noch Stunden bis zum letzten Läufer ausharren.
Um 23:30 treffe ich an der Verpflegungsstation ein. Einen Melonenschnitz bringe ich runter und eine Flasche lasse ich auffüllen. Dann drehe ich mich um und laufe in der falschen Richtung davon.
Strecke Etappe:       8.9 km
Strecke Total:          86.7 km
Hm Etappe:              +300 m / -750 m
Hm Total:                 +6‘150 m / -5‘500 m
Zeit Etappe :             2:25 h
Zeit Total:                 19:00 h

Endspurt – (Alpiglen – Finish)

Die Helfer machen mich auf meinen Irrtum aufmerksam und ich fühle mich etwas dämlich. Anyway, nach 19h auf den Füssen kann man sich ja mal irren. Der Abstieg geht jetzt über steile Kies- und teilweise Asphaltstrassen. Seit einigen Kilometern spüre ich das rechte Knie ein wenig und will deshalb nicht forcieren. Zudem verkrampft sich jetzt meine Rumpfmuskulatur leicht. Auch die hat es den ganzen Tag gebraucht. Ein anderer Läufer hat sich hinter mich gehängt. Ich habe das Gefühl, er ist schneller und will ihn passieren lassen. Seine Antwort: „You have a good pace, i will follow you“. Paul ist aus England und wir werden die restlichen 14km zusammen absolvieren. Schicksalsgemeinschaft nennt man das.
Brutal ist, dass man in der Ferne die Lichter der Pfingstegg sieht. Dort müssen wir auch noch hin. In Alpiglen sind wir noch höher, dann sind die Lichter auf einmal immer weiter über uns. Ja, der letzte Aufstieg lauert. Ich erinnere mich an die Wanderung vom Dienstag mit Silvia. Ob Paul die Strecke auch so gut kennt wie ich? Ich freu mich jedenfalls nicht auf diese Schlaufe!
Über die Gletscherschlucht
Dann endlich beginnt der Aufstieg. Ich fühle mich sehr gut und kann recht Tempo machen. Vorsichtigerweise nehme ich aber nochmals ein Gel, damit ich nicht im Schlussaufstieg schlapp mache. Es geht nun wieder auf technischem Trail durch den dunklen Nachtwald. Die beleuchtete Gletscherschlucht kommt näher und das tosen des Baches wird lauter. Noch ein kurzer giftiger Abstieg zur Brücke über die Schlucht, dann beginnt der Aufstieg beim Marmorbruch auf die Pfingstegg. Am Marmorbruch-Verpflegungsposten sitze ich kurz ab und munitionere das letzte Mal mit Gel und Wasser auf. Das reicht nun bis ins Ziel. Ich frage nach den Höhenmetern. 250 bis Pfingstegg ab hier. Also los.
Ich motiviere mich mit dem Gedanken, dass 250Hm nur einmal 1000er-Stägli sind. Das schaffe ich normal unter 15 Minuten. Also vorwärts. Paul brummelt von hinten „That’s pure punishment!“ – Dann sind wir oben und sehen unten in Grindelwald das Zielgelände. Am Verpflegungsposten halten wir nicht mal mehr. Der brutal steile Abstieg ist dann nochmals eine ziemliche Geduldsprobe für mich. Wir werden noch von verschiedenen Läufern überholt, ich getrau mich aber nicht mehr zu forcieren. Ich rechne. Wir sind nun 21:30h unterwegs. Ich will es unter 22h schaffen. Sobald wir im Tal ankommen, weihe ich Paul in meinen Plan ein. „We can break 22 hours. Can you run?“ Paul kann und so hetzen wir über den Campingplatz und der Puls steigt wieder mal etwas an. Nun fehlen nur noch ca. 70 Höhenmeter hoch ins Dorf. Auch diese packen wir. Und nochmals Laufschritt entlang der Hauptstrasse bis zum Zielgelände beim Kongresszentrum. Die Datasport-Uhr zeigt eine Laufzeit 21:44h, als wir unter dem Zielbogen durchlaufen. Es ist 02:15 Uhr am Morgen. Der Eiger Ultra Trail 2014 ist für mich Geschichte! Was für eine Fülle von Eindrücken!
Strecke Etappe:       14.3 km
Strecke Total:           101 km
Hm Etappe:              +550 m / -1200 m
Hm Total:                 +6‘700 m / -6‘700 m
Zeit Etappe :             2:44 h
Zeit Total:                 21:44 h
Zieleinlauf mit Paul

Fazit

Meine Ausrüstung hat sich mit Ausnahme der Fenix sehr gut bewährt. Die körperlichen Beschwerden hielten sich mit Ausnahme der Krämpfe im Rahmen. Ich denke für einen erfolgreichen Finish in so einem Rennen braucht es eine gewisse körperliche Verfassung, dann aber vor allem Erfahrung und viel Geduld, zudem auch eine Prise Glück.
Während ich mitten im Rennen kurz gezweifelt hatte, ob ich so was wieder mal machen will, freue ich mich nun zwei Tage später auf die nächste Gelegenheit, es noch etwas besser zu machen! Am 16. August ist Mountainman-Time!!!
Morgen-Selfie vor dem Eiger


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